Interview: drei Fragen an Claudia Collin zu Trauer um unerfüllten Kinderwunsch

Veröffentlicht am

Claudia Collin ist eine erfahrene und zertifizierte Trauerbegleiterin (nach BVT) und Achtsamkeitstrainerin.

Diesen Winter besucht sie uns im Familiebleiben Podcast zum Thema unerfüllter Kinderwunsch bei Trennung, vorab beantwortet sie uns hier drei Fragen zu Trauer und ihrer Arbeit mit Trauernden.

Frage 1

Was bietest du als Trauerbegleiterin an?

Menschen nehmen aus den unterschiedlichsten Trauersituationen Kontakt zu mir auf. Im Erstgespräch finden wir dann gemeinsam heraus, was der/die Trauernde braucht und ob meine Begleitung wohltuend sein kann. In der Trauerbegleitung geht es darum, aus einer lebenshinderlichen Trauer eine lebensförderliche Trauer zu entwickeln. Die Trauer geht nicht weg, sie wird die Menschen immer begleiten. Lebenshinderlich sind aber die riesig großen Trauerwellen, die einen mitreißen, wenn man nicht erfährt, wie man anders mit ihnen umgehen kann, aber z.B. auch Schuldgefühle, dass ein oder andere nicht getan oder gesagt zu haben. Ich erlebe viele Ängste, die da entstehen und die wir uns dann gemeinsam ansehen. Ich höre zu, gebe keine Ratschläge oder Lösungen, denn die gibt es nicht. Es gibt aber viele unterschiedliche Perspektiven, aus denen man auf die Trauer sehen kann, viele Facetten die die Trauer verständlicher machen. In unseren Gesprächen ist auch der Raum, Gedanken und Gefühle zu äußern, die nicht mit der Familie oder Freund*innen geteilt werden wollen, oft möchten sich die Trauernden den Freund*innen nicht zumuten. Gemeinsam entdecken wir die persönlichen Ressourcen, aus denen der/die Trauernde wieder schöpfen kann. Es ist ein Weg mit vielen ganz kleinen Schritten, den ich auch am liebsten auf einem Spaziergang in der Natur gemeinsam gehe. Aber auch online entsteht ein sicherer und wertschätzender Ort, in dem alles seinen Platz haben darf und nichts falsch ist. Keine Trauer ist vergleichbar mit einer anderen, jede Trauer ist so individuell wie die Menschen selbst. Manche Menschen begleite ich nur einige Male, manche über einen längeren Zeitraum. Genauso, wie es sich gut für sie anfühlt.

Frage 2

Welche Gedanken gehen Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch bei einer Trennung durch den Kopf? Und welche Gefühle löst dies bei ihnen aus?

Zeit ist da das große Thema. Die Zeit, die mir einfach biologisch noch bleibt um Mutter zu werden – auch bei Männern, die nicht zu alt Väter werden möchten. Die vielen Jahre, die schon vergangen sind, oft auch schon mit dem – bisher unerfüllten – Kinderwunsch. Der soziale Druck: im Freundeskreis werden Kinder geboren, wachsen Familien und man selbst bekommt es einfach nicht hin. Der passende Partner/Partnerin wird nicht gefunden oder möchte selbst kein erstes oder weiteres Kind. Oft trennen sich Paare nach Jahren des Kreisens um dieses Thema, dann kommt zum unerfüllten Kinderwunsch noch die Trauer um die beendete Beziehung dazu.

Wir haben im Leben gelernt, dass man mit viel Disziplin doch irgendwie alles erreichen kann, doch in diesem Fall funktioniert das nicht. Machtlosigkeit und große Unsicherheit lassen die Menschen frustriert und verzweifelt zurück. Wenn dann Plan B auftaucht, es eventuell mit Co-Parenting oder Solomutterschaft zu versuchen, dann ist auch das ein Abschied – von der Normfamilie, die doch vermeintlich alle anderen glücklich macht.

Neidgefühl kennen auch viele in dieser Situation. Nicht dass man es den anderen Menschen nicht gönnt Eltern zu sein, aber der große Schmerz und die riesige Sehnsucht, der hinter dem Neid steht, der möchte gesehen werden.

Oft geht das alles einher mit einem inneren Rückzug, die Menschen versuchen da viel mit sich selbst auszumachen, die Freund:innen mit Kindern sind auch keine Ansprechpartner:innen mehr, die Gedanken kreisen ständig nur um dieses Thema, das ist alles unglaublich anstrengend und zermürbend.

Wir haben im Leben gelernt, dass man mit viel Disziplin doch irgendwie alles erreichen kann, doch in diesem Fall funktioniert das nicht. Machtlosigkeit und große Unsicherheit lassen die Menschen frustriert und verzweifelt zurück. Wenn dann Plan B auftaucht, es eventuell mit Co-Parenting oder Solomutterschaft zu versuchen, dann ist auch das ein Abschied – von der Normfamilie, die doch vermeintlich alle anderen glücklich macht.

Claudia Collin

Frage 3

Wie können Menschen gut mit dieser Situation umgehen? Welche konkreten Schritte sind sinnvoll und hilfreich?

Sehr wohltuend empfinden Menschen das Gespräch mit anderen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Diese Gespräche gibt es aber im normalen Leben so gut wie nicht. Über das Thema ungewollte Kinderlosigkeit wird nicht offen gesprochen. Ich lade Menschen ein, sich ihrer Familie und/oder Freund:innen zu öffnen. Aber auch spezielle Austauschforen zu nutzen, wie zum Beispiel das Mentoring bei Familyship oder auch eine professionelle Begleitung durch eine Trauerbegleitung.

Die Erfahrung, dass es auch andere gibt, die mit dieser Ungewissheit leben, die hoffen und bangen ist allein schon hilfreich. Und auch, dass nicht alle „anders“ sind. Hier kann man sich auch verbunden fühlen.

Wirklich Abschied zu nehmen von meinem Partner/Partnerin und meinem Wunsch mit diesem immer noch oder vor einiger Zeit geliebten Menschen ein Kind zu bekommen bedeutet trauern. Auch Fehlgeburten oder stille Geburten, die doch einige erlebt haben, dürfen und sollten betrauert werden. Trauern ist die Lösung, nicht das Problem.

Die renommierte Trauerbegleiterin Chris Paul hat die 6 Facetten des Trauerns entwickelt, die verschiedene Lebensbereiche berühren.

  • Die Wirklichkeit anerkennen. So ist es und nicht anders. Es ist schwer. Es ist überhaupt nicht absehbar. Die Partnerschaft ist vorbei. Mit diesem Partner wird es kein Kind geben. Mein Partner/Partnerin möchte kein Kind. Und es ist alles ungewiss und ich kann es jetzt nicht ändern.
  • Die persönlichen Überlebensstrategien hervorholen.Es gab bestimmt schon andere heftige Belastungen im Leben. Was hat da im Rückblick gut funktioniert und was nicht? Was hat geholfen die Tage und Wochen zu überstehen? War es ein sich Ablenken, ein Abtauchen, sich Aussprechen, Sport treiben, Meditieren, seltsame Dinge tun…?
  • Die Gefühle zulassen. Verzweiflung, Wut, Ohnmacht, Schmerz, Erleichterung, Angst, Neid, Dankbarkeit, Sehnsucht, Liebe und viele mehr. All diese verwirrenden und oft überwältigenden Gefühle sind wichtig – und nicht falsch! Sich selbst besser kennenzulernen, ohne sich zu verurteilen, ist so wichtig.
  • Sich anpassen lernen. Das eigene Leben ändert sich. Man ist nun allein verantwortlich, muss mit Reaktionen der Familie/Freund:innen und ungebetenen Ratschlägen zurechtkommen. Man probiert neue Rollen und Verhaltensweisen aus. Wenn Plan A nicht funktioniert, vielleicht Plan B?  Solomutterschaft, Co-Parenting, kinderlos bleiben? (Ja, auch das ist eine denkbare Möglichkeit), alles neue Modelle, die noch völlig ungeübt sind. Und nicht der Norm entsprechen. Bin ich das? Schaffe ich das? Will ich das?
  • Alles neu Einordnen. Das sind die„Warum?“-Fragen: warum passiert mir das, ist die Welt gerecht, habe ich bei Schicksal in der Hand, wie ich es immer gedacht habe? Hier sind die Gedanken am Rasen, oft kann man nicht mehr schlafen, alles dreht sich darum. 
  • Und doch Verbunden bleiben: mit der Beziehung, auch wenn sie nun vorbei ist, „gut“ werden. Die Zeit nicht als „Zeitverschwendung“ fühlen. Wenn man diesen Trennungsprozess für sich gut abschließen kann und nicht mit Wut/Schuld/Verzweiflung/Anklagen da ist, kann offen der nächste Schritt gegangen werden. Sehr hilfreich, wenn auch wirklich schwer ist es Dankbarkeit für gute Stunden/Tage/Monate/Jahre und viel Lernen miteinander in schwierigen Zeiten zu entwickeln.

Diese Facetten sind nicht linear „abzuarbeiten“. Immer mal wieder ist die ein oder andere im Vordergrund. Wenn man schon öfter ein Tagebuch geführt hat, kann man das auch für diese Themen nutzen.

Immer wieder Innehalten in diesen Monaten, sich Auszeiten nehmen, sei es in der Natur, beim Sport, beim Meditieren oder beim Feiern im Freundeskreis schafft wieder Raum. Das sich ewig kreisende Gedankenkarussell im Kopf mal anhalten… und sich auch mal „von außen zu betrachten“. 

Und eben die Trauer zulassen. Nicht hektisch gleich viele Schritte weiter gehen, irgendwann geht dann die Kraft aus – und die wird ja gebraucht!

– – – – – – –

Claudia Collin
Tiefblau Trauerbegleitung

– – – – – – –
Familiebleiben Podcast Folgen zu Trauer:
Gespräch mit Dorothea Behrmann zu Trennung und Trauer
Gespräch mit Turid Müller zu Selfcare nach der Trennung