Verwitwet Alleinerziehend: ein Gastbeitrag von Inga Krauss

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Ich bin Inga Krauss und bin im Januar 2017 mit nur 40 Jahren durch den Krebs zur Witwe geworden. Unsere gemeinsamen Kinder waren damals 4 und 6 Jahre alt, die drei Stiefkinder 16, 19 und 21. Ich schreibe auf meiner Webseite zu allen Themen, die Betroffene interessieren könnten, vor allem aber finanzielle Themen, aber auch #Carearbeitteilenabermitwem, denn in der so wichtigen Debatte um eine bessere Aufteilung von Care-Arbeit werden wir auch schlicht ignoriert. 

Mein Buch „Wenn der Tod dazwischenkommt“ kann bei BoD bestellt werden: https://buchshop.bod.de/wenn-der-tod-dazwischenkommt-inga-krauss-9783758319662#products

Ich bin Allein-Alleinerziehend. Diese Wortkreation löst oft einen erbitterten Diskussionsstreit unter den Betroffenen aus. „Ich bin aber ganz Allein-Alleinerziehend“ oder „Aber mich hat es schlimmer getroffen“ und bäm: „Du bekommst ja wenigstens Witwenrente“. Da ist er wieder der Schlagabtausch unter den Alleinerziehenden. Wem geht es eigentlich in dieser Gesellschaftsgruppe am schlechtesten? Oft der Tenor aus den gesammelten Argumenten: die Witwe bekommt ja wenigstens Witwenrente. 

Es geht darum, dass wir Alleinerziehende zusammenhalten und uns gemeinsam für bessere Gesetze für uns alle einsetzen.

Inga Krauss

Aber ist das wirklich so gut? Leben Witwen „besser“ als andere Alleinerziehende?

Zuerst einmal möchte ich allen Diskussionsbeteiligten den Wind aus den Segeln nehmen: es geht nicht darum, dazulegen, welche Form des Alleinerziehend-Seins die Schlimmste oder die Schlechteste ist! Es geht darum, dass wir Alleinerziehende zusammenhalten und uns gemeinsam für bessere Gesetze für uns alle einsetzen. Wenn wir uns gegenseitig zerfleischen, ist niemandem geholfen. Mir geht es vor allem darum, die Lebensrealitäten und Probleme von Verwitweten (Alleinerziehenden) sichtbar zu machen, denn diese unterscheiden sich mitunter von allen anderen Alleinerziehenden. Nur mit Sichtbarkeit können wir auch Änderungen bewirken und dazu brauchen wir die Akzeptanz von allen. Halten wir alle zusammen, sind wir eine ernstzunehmende gesellschaftliche Größe! 

Ich erlebe immer wieder, dass meine eingereichten Petitionen nur einen kleinen Zuspruch erhalten und das nicht etwa, weil sie unwichtig sind oder weil sie schlecht formuliert sind. Die Petition für eine bessere Kindergrundsicherung wurde von insgesamt über 50.000 Personen unterschrieben (damals ging es noch um zwölf statt um zwei Milliarden), weil namhafte Facebook- und Instagram-Größen diese zu Recht unendlich oft geteilt haben. Die Petition Nummer 163066 zur Reformierung des Unterhaltsvorschussgesetzes erreichte bisher 3.826 Mitzeichnungen und läuft noch bis zum 01.04.2024. Meine letzte Petition Nummer 157098 über den Abzug von KV- und PV-Beiträgen von Halbwaisenrenten bei Halbwaisen, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, wurde im Dezember 2023 mit nie dagewesenen 629 Unterschriften beglückt, auch, weil es glücklicherweise nur gut 500.000 verwitwete Elternteile gibt aber auch, weil sich der Mitzeichnungswille generell und das Teilverhalten auf den sozialen Medien für unsere schicksalsbehaftete Gesellschaftsgruppe in Grenzen hält. Niemand kann sich vorstellen, unter welchen Bedingungen wir leben. Niemand kann sich vorstellen, mit welchen Probleme wir konfrontiert werden. Vielleicht mag es sich auch niemand so recht vorstellen wollen, denn Tod ist und bleibt ein Tabu-Thema. Und Finanzen irgendwie auch.  

Die Hauptlast von „klassischen“ Alleinerziehenden (und damit meine ich etwas salopp gesagt alle AEs, die nicht verwitwet sind) scheinen die Themen Umgang und Unterhalt zu sein. Beide Themen laufen wie eine Art Dauerschleife im restlichen Leben mit, mehr oder weniger gut geregelt, mehr oder weniger belastend für alle Beteiligten. Die entsprechenden Pendants der verwitweten Alleinerziehenden sind überaschenderweise ebenfalls die Themen Umgang und Unterhalt – und wie bei den „klassischen“ Alleinerziehenden ziehen sich beide Themen meist ebenfalls mehr oder weniger belastend durch das restliche Leben. Das Thema Umgang ist schnell erklärt: den gibt es schlicht nicht. Das andere Elternteil ist unwiderruflich tot und weder für ein paar Stunden oder einen Tag im Jahr zu haben noch für jedes zweite Wochenende und schon gar nicht für die Hälfte der Ferien. Das Thema Unterhalt ist bei Hinterbliebenen der Empfang der Unterhaltsersatzleistung Hinterbliebenenrente und die damit verbundenen Regelungen zur Anrechnung von Einkommen sowie die nachgelagerte Versteuerung.

Die durchschnittliche Witwenrente liegt derzeit bei 687,15€ – brutto wohlgemerkt. Jung Verwitwete und Männer erhalten in der Regel deutlich weniger, z. B. sind es in der Altersgruppe unter 29 nur noch 439,71€ im Schnitt – ebenfalls brutto. Die durchschnittliche Halbwaisenrente liegt in Westdeutschland bei 220€ in Ostdeutschland bei 225€, weswegen die Durchschnitts-Halbwaise in jeder Altersklasse unterhaltsvorschussberechtigt ist. Ja, auch Halbwaisen können Unterhaltsvorschuss beantragen, auch wenn das leider fast nirgendwo steht. Selbst auf der offiziellen Webseite vom Bundesfamilienministerium werden nur Trennungskinder und Eltern, die keinen oder zu wenig Unterhalt oder nicht regelmäßig Unterhalt bekommen genannt. Von verwitweten Eltern oder Halbwaisen, deren Halbwaisenrente zu gering ist, kein Wort. Warum eigentlich werden wir verschwiegen? 

Die Erziehungsrente, eine Rente wegen Todes, liegt meistens deutlich höher, lohnt sich aber dennoch nicht in jedem Fall. Die Erziehungsrente kann bei Verwitwung nach dem einseitig durchgeführten Rentensplitting beantragt werden und liegt derzeit im Schnitt bei 1.015,35€. Mehr zur Erziehungsrente und wie Du sie beantragen kannst, erfährst Du hier: https://verwitwet-alleinerziehend.de/thema/erziehungsrente/ 

Alle Zahlen stammen von der DRV, Stand 31.12.2022. Aktuellere Zahlen werden jeweils im Juli des darauffolgenden Jahres veröffentlicht und sind dann zeitversetzt auch auf meiner Webseite www.verwitwet-alleinerziehend.de entsprechend aufbereitet einsehbar. 

Die HinterbliebenenRenten werden als sogenannte Unterhaltsersatzleistungen gezahlt und sind damit verfassungskonform durch eigenes Einkommen kürzbar, wenn dieses einen bestimmten Freibetrag übersteigt. Der Freibetrag liegt im Rentenjahr 2023/24 bei 992,64€ sogenanntes fiktives Netto und erhöht sich pro Halbwaisenberechtigtes Kind um einen Kinderfreibetrag (derzeit 210,56€). Das bedeutet, ich kann mit meinen beiden Kindern ein anrechnungsfreies Einkommen von 1.463,24€ erwirtschaften ohne Kürzungen der Hinterbliebenenrente hinnehmen zu müssen. Erwirtschafte ich allerdings beispielsweise 100€ netto mehr, wird mir meine Hinterbliebenenrente um 40€ gekürzt (Kürzung um 40% des sogenannten „Mehrbetrags“). Ist das Fair? Nein? Ist das wirtschaftlich? Ganz und gar nicht. Und wenn die Kinder mal aus dem Haus sind, sinkt der Freibetrag wieder auf die oben genannten 992,64€. Das ist hirnrissig, denn genau zu dem Zeitpunkt im Erwerbsleben, wenn die Care-Arbeit wegfällt und ich rein aus zeitlichen Gründen wieder mehr erwerbsarbeiten könnte, wird die Hinterbliebenenrente noch früher und damit auch noch gravierender gekürzt. Ich nenne das immer die Rentenfalle für jung Verwitwete, denn es ist der systembedingte Weg in die Altersarmut. Das verstehe wer will. 

Deutschland kann keinen Fachkräftemangel haben: Es gibt 1,2 Millionen Empfänger von Hinterbliebenenrenten und nicht repräsentative Umfragen in meiner Facebook-Gruppe Gerechte HinterbliebenenRente haben gezeigt, dass 85% der Befragten sofort mehr arbeiten gehen würden, wenn die Hinzuverdienstgrenze ganz wegfällt oder drastisch ansteigen würde (oder eben später, wenn die Kinder aus dem Haus sind). In 85% der Fälle sterben die Männer zuerst und die Frauen werden zu Witwen, in meiner Gruppe sind deswegen auch überwiegend Frauen. Es sind eben genau die Frauen, die meist in der Pflege oder im Kindergarten arbeiten – und das sind genau die Stellen, die seit Jahren nicht besetzt werden… 

Ich wünsche mir sehr, dass Alleinerziehende – anstatt sich gegenseitig zu zerfleischen – besser die Energie aufbringen würden, alle vorhandenen Petitionen zu unterschreiben und zu teilen. Damit fordere ich explizit alle (noch) Nicht-Verwitweten Frauen und Männer auf, unsere Petitionen zu unterschreiben, denn jede noch „ganze“ Familie ist nur einen Wimpernschlag oder einen Minutenschlaf auf der Autobahn vom Verwitwet-Sein entfernt. Es kann jeden treffen, mich hat es auch unerwartet und unvorbereitet getroffen, trotz langer Krankheitsphase. 

Du kannst dabei helfen, Verwitwete sichtbarer zu machen und die Reichweite für unser Thema zu erhöhen: werde Follower der Facebook-Seite Gerechte HinterbliebenenRente oder Folge mir auf Instagram gerechte_hinterbliebenenrente. 

Wenn Du Betroffen bist oder Dich informieren möchtest, schaue Dich gerne auf meiner Webseite um: www.verwitwet-alleinerziehend.de 

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Inga Krauss
Wenn der Tod dazwischenkommt

Von der Patchwork-Mama zur alleinerziehenden Witwe mit zwei Kindern

ISBN-13: 9783758319662
Books on Demand

Foto by 4Real Photography Fotografin Silke Monk