Interview: drei Fragen an Turid Müller zu Eltern-Kommunikation

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Diplom-Psychologin und Buchautorin Turid Müller ist bei Familie bleiben seit der allerersten Podcast-Folge mit dabei: Fünf Folgen mit ihr haben wir bereits veröffentlicht (alle unten verlinkt) und im Season Finale Ende Juli 2023 hören wir sie nochmals im gemeinsamen Gespräch mit Marianne Nolde. Und für Herbst 2023 sind bereits zahlreiche weitere Folgen mit ihr geplant, u.a. zu Trennung und Kommunikation.

Turid Müller ist Expertin für wichtige Fragen rund um belastende und als dysfunktional erlebte Beziehungen, insbesondere im Zusammenhang mit verdecktem Narzissmus.

Heute beschreibt sie uns, wie es nach einer als belastend erlebten Beziehung gelingen kann, zum Wohle der gemeinsamen Kinder weiterhin mit dem anderen Elternteil zu kommuniziere, um den Familienalltag nach der Trennung zu organisieren. Und sie schlägt uns eine Methode vor, wie mit Dritten über die Situation gesprochen werden kann.

Ab Herbst 2023 werden neue Podcast-Folgen mit Turid Müller erscheinen, in denen sie uns die wichtigsten Kommunikationstechniken ausführlich erklärt und anhand von Beispielen anschaulich und lebensnah vorstellt.

Frage 1

Liebe Turid, vor Kurzem ist dein Onlinekurs „Beim nächsten Mal Liebe“ erschienen. Worum geht es da genau?

Der Kurs, den ich mit sinnsucher.de entwickelt habe, möchte Menschen dabei unterstützen, sich darüber klar zu werden, ob sie sich in einer dysfunktionalen Partnerschaft befinden. Außerdem gibt er Entscheidungshilfen für die Frage an die Hand, welche Konsequenzen gegebenenfalls aus dieser Erkenntnis zu ziehen sind. Für den Fall einer Trennung hilft der Kurs dabei, sich zu lösen, die Erlebnisse zu verarbeiten, und sich künftig vor solchen Dynamiken zu schützen. Wie der Name schon sagt, möchte das Programm Teilnehmende dabei begleiten, beim nächsten Mal richtige Liebe zu finden. Wie schon im Ratgeber, liegt wieder ein Schwerpunkt auf dem verdeckten Narzissmus. Die Module des Seminars bestehen aus ausführlichen Video-Lektionen. Dazu gibt es ein umfangreiches Arbeitsbuch und Audiomeditationen – ein guter Wegweiser für alle, die sich auf diese Reise begeben wollen.

Frage 2

Wenn sich Menschen dazu entschließen, sich zu trennen – wie kann die Kommunikation über die gemeinsamen Kinder trotz eines als narzisstisch erlebten Kommunikationsstils gestaltet werden?

Es gibt viele verschiedene Kommunikationsmethoden für die Interaktion mit narzisstischen Menschen. Die bekannteste ist Grey Rock (auch Gray Rock genannt) – und der Name ist Programm: Denn dabei machen wir uns so unscheinbar wie einen grauen Stein. Warum? Um dem Gegenüber weder narzisstische Zufuhr zu geben, noch als gefährliche Konkurrenz wahrgenommen zu werden. Das erreichen wir, indem wir kurz, knapp, oberflächlich und unemotional antworten. Auch ein distanzierteres Medium kann unterstützend sein – zum Beispiel kurze Textnachrichten statt persönlicher Treffen. Wir machen uns mit diesem Verhalten auch weniger verletzlich. Irgendwann verliert die andere Seite das Interesse, und zieht weiter. Bis dahin kann es allerdings zu Gegenreaktionen kommen, die versuchen, uns in das bekannte Interaktionsmuster zurück zu locken: Das reicht von Lovebombing bis Provokation. Es lohnt, sich davon nicht beirren zu lassen.
Diese Technik funktioniert hervorragend bei Arbeitskontakten und Ähnlichem. Doch wenn es um die gemeinsame Organisation von Kindern geht, stößt sie an Grenzen. Das hat verschiedene Ursachen: Wenn wir nach diesen engen Regeln kommunizieren, sind wir sehr beschnitten in unseren Möglichkeiten, wir sind un-authentisch, und der tiefe Kontakt, der erforderlich ist, um gemeinsam für Kinder zu sorgen, ist kaum möglich. Außerdem kann es auf Dritte befremdlich wirken, wenn wir so einsilbig und kühl kommunizieren, wie die Methode es vorsieht. Für Familienmitglieder, unsere Kinder, das Jugendamt oder Gerichte, könnte es so aussehen, als wären wir Teil des Problems. Um das zu vermeiden, hat Tina Swithin, Gründerin vom One Mums Battle, den Ansatz modifiziert, und den grauen Stein quasi in einem freundlichen Gelb gestrichen: Bei Yellow Rock geben wir uns also einen freundlichen Anstrich – und zwar für Außenstehende. Dabei schützen wir uns wie bei Grey Rock, sagen aber – salopp gesagt – mehr „bitte“ und „danke“; somit ist es weniger künstlich, und wir sind mit unserem Verhalten wieder näher an dem, was für uns normal wäre. Sagen wir, ich bekommene eine Textnachricht – denn auch hier sind distanzierte Kommunikationswege vorzuziehen. Darin werde ich gefragt, ob wir zusammen Weihnachten feiern können. Mit Grey Rock wäre meine Antwort vielleicht ein einsilbiges „Nein“, oder eine kleine Notlüge bezüglich der eigenen Planung oder ähnliches. Mit Yellow Rock schreibe ich zum Beispiel etwas wie: „Ich hoffe, das wird eines Tages wieder möglich sein. Zum jetzigen Zeitpunkt geht das noch nicht, da wir aneinandergeraten könnten, was den Kindern nicht guttäte.“

Bei Yellow Rock schützen wir uns wie bei Grey Rock, geben der Kommunikation aber einen freundlichen Anstrich. 

Turid Müller

Mehr zu dieser Methode in der Podcast-Folge zum Thema Elternkommunikation sowie im Season Finale gemeinsam mit Marianne Nolde, das am 28. Juli 2023 erscheint.

Frage 3

Zuweilen ist es ja auch nötig, mit anderen Menschen über die Erfahrungen mit der oder dem Ex zu sprechen, zum Beispiel im Rahmen eines Gutachtens. Worauf ist dabei zu achten?

Menschen, die Gutachten erstellen erleben nicht selten, dass ein Paar sich gegen-seitig beschuldigt, narzisstisch oder toxisch zu sein. – Wem sollen sie glauben?
Eine solche Selfmade-Diagnose kann daher ungewollt dazu führen, dass ich meine eigene Glaubwürdigkeit diskreditiere. Daher wird in der Regel davon abgeraten, in solchen Zusammenhängen das Wort „Narzissmus“ zu verwenden. Das schließt natürlich auch verwandte Begriffe wie z.B. „Gaslighting“ aus. – Wie also beschreiben, was ich erlebe?


Dr. Ramani Durvasula, eine US-amerikanische Expertin auf dem Gebiet, hat dafür eine Eselsbrücke entwickelt – C.R.A.V.E.D., ein Akronym:

C               ConflictKonflikt
R               RigidityRigidität
A               AntagonismAntagonismus
V               Vindictiveness / Victim /
Vulnerability
Verletzlichkeit / Opferhaltung /
Rachsucht
E               Entitlement / ExploitativenessAnspruchshaltung / Ausnutzung
D              DysregulationDysregulation

Die Buchstaben erinnern uns an die typisch narzisstischen Verhaltensweisen, die wir am besten mit konkreten Alltagsbeispielen unterlegen. So kann ich beispielsweise für C wie Konflikt einen Chatverlauf vorlegen, an dem sich ablesen lässt, dass ich versucht habe konstruktiv zu sein (Yellow Rock), während das Gegenüber alles getan hat, um den Konflikt zu befeuern.

Mehr zu dieser Methode in der Podcast-Folge zu Elternkommunikation vom 30. Juni 2023; dort in den Shownotes sind auch einige Youtube Videos von Dr. Ramani Durvasula verlinkt.

Vielen Dank liebe Turid!

Mehr zu CRAVED und anderen Kommunikationsmodellen besprechen wir dann ausführlichen ab Herbst 2023 in vielen neue Podcast-Folgen!

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