Interview: drei Fragen an Christoph C. Paul

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Im März 2023 besuchte mich mein Ausbilder und wunderbarer Kollege Christoph C. Paul im Podcast und wir sprachen über multinationale Familien und grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte.

Das ausführliche Gespräch kann im Familiebleiben-Podcast Archiv angehört werden; und natürlich überall, wo es Podcasts gibt.

Christoph C. Paul ist Mediator und Ausbilder, Notar und Rechtsanwalt a.D. Er war viele Jahre im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation (BAFM) und ist Gründer und Schirmherr von MIKK e.V. – einem gemeinnützigen Verein für Mediation und Beratung bei grenzüberschreitenden Familienkonflikten und internationaler Kindesentführung.

Im heutigen Kurz-Interview beantwortet er mir drei Fragen dazu, was ein Elternteil konkret unternehmen kann, wenn der andere Elternteil die Kinder ohne Zustimmung in sein/ihr Heimatland mitnimmt bzw. die Kinder nach den Ferien nicht wie verabredet wieder zurückbringt.

Ebenso wie für das Podcast-Gespräch gilt auch für das Kurz-Interview: Alle Informationen sind allgemein gehalten und ersetzen keine individuelle Beratung für den jeweiligen Einzelfall. Für Beratung und für Mediationen kann MIKK e.V. kontaktiert werden.

Frage 1

In einem von uns beiden gemeinsam mediierten Fall hat ein Elternteil, hier die Mutter, morgens früh die Kinder aus einem nordeuropäischen Land mit zurück nach Deutschland genommen, und im bisherigen gemeinsamen Zuhause für den Vater, der bei der Arbeit war, lediglich eine Notiz auf dem Küchentisch liegen gelassen. Der Vater kam abends nach Hause und war schockiert und wusste nicht, was er tun sollte. Die Mutter meldete in Berlin die beiden Kinder in Kita und Schule an und lebte von nun an dort. Diese Ausgangssituationen sind häufig und für den zurückgelassenen Elternteil sehr hart. Was kann der Vater hier unternehmen?

Für den zurückgelassenen Vater ist eine solche elterliche Kindesentführung ein ganz harter Schlag. Aber noch mehr leiden die Kinder darunter, die aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden. Um dies zu vermeiden bzw. um die möglichst baldige Rückführung der Kinder in das Herkunftsland zu gewährleisten, gibt es eine internationale Vereinbarung, das Haager Kindesentführungs-Übereinkommens, auch HKÜ genannt. Bis heute haben sich 101 Länder dieser Vereinbarung angeschlossen, so auch das genannte nordeuropäische Land und Deutschland. Der Vater kann über die sog. Zentrale Behörde seines Landes einen Antrag auf Rückführung der Kinder stellen, der dann über die deutsche Zentrale Behörde an das zuständige Gericht gesandt wird. Das Familiengericht am Aufenthaltsort der Kinder, also dort, wo die Mutter die beiden Kinder an Kita und Schule angemeldet hatte, wird über die Rückführung der Kinder in das Herkunftsland entscheiden. Ein solches Verfahren dauert maximal sechs Wochen, damit sich die Kinder erst gar nicht lange am neuen Ort eingewöhnen. In den allermeisten Fällen werden die Kinder von den Gerichten zurückgeschickt. Nur dann, wenn den Kindern im Herkunftsland schwerwiegende Nachteile drohen, kann von der Rückführung der Kinder abgesehen werden.

Frage 2

Eine andere typische Fallkonstellation ist, dass nach einer Trennung die internationalen Eltern bereits wieder in ihren jeweiligen Herkunftsländern leben und die Kinder, sagen wir mal, ihren Lebensmittelpunkt bei der Mutter haben. Nun fliegen diese in den Ferien zum anderen Elternteil, hier dem Vater, und anstatt, dass sie nach Ende der vereinbarten Urlaubszeit zurückkommen bzw. zurückgebracht werden, behalt der Vater die Kinder bei sich und meldet sie in seinem Land in Kita bzw. Schule an. Was kann die Mutter hier unternehmen?

Auch ein solcher Fall, Zurückhaltung der Kinder genannt, fällt unter das Haager Kindesentführungs-Übereinkommen. Hier kann die Mutter entweder über die Zentralen Behörden oder aber auch direkt bei dem Gericht am aktuellen Wohnort der Kinder deren Rückführung beantragen. Voraussetzung ist aber, dass die jeweiligen Länder Vertragsstaaten sind, was z.B. bei einigenen Ländern mit einem muslimischen Hintergrund nicht immer der Fall ist. Grundsätzlich gilt, dass die Kinder so bald wie möglich wieder in das Land ihres „gewöhnlichen Aufenthaltes“ zurückgebracht werden und dass man dann dort vor Ort entscheidet, was für die Kinder und für die Familie im Hinblick auf eine Regelung für die Zukunft das Beste ist.

Regelungen bezüglich sämtlicher mit der Trennung der Familie zusammenhängender Fragen können in einer Mediation erarbeitet werden.

Christoph C. Paul

Frage 3

Wo finden Elternteile, die sich in einer diesen typischen Situationen wieder finden, schnelle und kompetente Beratung? Wann kann Mediation hilfreich sein?

Die deutsche Zentrale Behörde informiert auf ihrer Webseite über das Verfahren zur Rückführung der Kinder. Die Gerichte entscheiden in diesen Verfahren aber nur über die „Rückführung“ der Kinder. Die Familien brauchen in der Regel mehr, nämlich Regelungen bezüglich sämtlicher mit der Trennung der Familie zusammenhängender Fragen: Wie kann die Beziehung der Kinder zu beiden Eltern gestaltet werden? Wo sollen sie leben, wie wird der Kontakt zum anderen Elternteil und zu den jeweiligen Herkunftsfamilien gestaltet? Wie werden sprachliche und kulturelle Bindungen gewährleistet? Dies und die damit zusammenhängenden finanziellen Aspekte wie Reisekosten, Unterhalt etc. lassen sich im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren in einer Mediation erarbeiten und regeln. Der gemeinnützige Verein „MiKK e.V. – Internationales Mediationszentrum für Familienkonflikte und Kindesentführung“ (www.mikk-ev.de) unterhält eine Beratungsstelle, die in 5 Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Polnisch) kostenlos Beratungen anbietet. Dort erhält man Informationen sowohl zu den möglichen rechtlichen Schritten als auch zu der Frage, ob im konkreten Fall vielleicht eine Mediation zu empfehlen ist. Sollte dies möglich werden, so organisiert der Verein auch die konkrete Mediation mit Mediatorinnen und Mediatoren aus beiden relevanten Sprach- und Kulturkreisen.

Das ausführliche Gespräch kann in der Podcast-Folge Nr. 11: „Multinationale Familien und grenzüberschreitende Konflikte“ angehört werden.