Krankheit und Tod waren die Themen unseres Podcasts diesem November; und zum Abschluss möchte ich hierzu passend erneut auf »Das späte Leben« von Bernhard Schlink hinweisen.
Ich habe alle seine Bücher gelesen, nicht nur das bekannteste, das mit Kate Winslet und David Kross verfilmte »Der Vorleser« , sondern auch sein vorletztes von 2021, »Die Enkelin«; das ich hier ebenfalls bei Gelegenheit besprechen könnte, denn es handelt auch von einer sehr interessanten Familienkonstellation.
Von all seinen elf Büchern am meisten berührt mich jedoch sein aktuellster Roman »Das späte Leben«, und deshalb möchte ich das Buch heute kurz vorstellen.
Ich-Erzähler Martin Brehm ist 76 Jahre alt und emeritierter Professor für Rechtsgeschichte. In später Ehe ist er mit der 30 Jahren jüngeren Ulla verheiratet und gemeinsam haben sie einen sechsjährigen Sohn, David. Martin kümmert sich im Alltag um seinen Sohn und schreibt ansonsten juristische Aufsätze und Gutachten. Ulla ist berufstätig als bildende Künstlerin und Mitarbeiterin einer Galerie.
Martin Brehm wirkt zufrieden in seinem Leben und den späten Vaterfreuden, als er die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erhält, mit der Prognose auf noch ein halbes Jahr zu leben, davon die Hälfte ohne Schmerzen. Direkt nach dem Arztbesuch fragt sich Martin Brehm, wie er seiner Frau die Diagnose mitteilt.
Jetzt stand er im Flur und wunderte sich, dass er keinen Entschluss fassen konnte, wo er sich doch vom Arzt so entschlossen verabschiedet hatte. In wenigen Stunden musste er seiner Frau und seinem Sohn begegnen. Wie? Würde er David vom Kindergarten abholen, als sei nichts? Würde er auch Ulla zunächst nichts sagen und erst nach dem Abendessen mit ihr reden, wenn David im Bett lag? Auf dem Sofa, den Arm um ihre Schultern, bei einer Flasche Wein und mit einem Feuer im Kamin? Beim Abschied vom Arzt hatte er die nötige Entschlossenheit aufgebracht, und er würde es auch bei den Begegnungen mit Frau und Sohn. Dass er nicht wusste, wohin er gehörte, noch zu den Lebenden oder schon zu den Toten, dass er sich verdächtig war, würde ihm nicht dazwischenkommen.
Bernhard Schlink Das späte Leben S. 14
In der für Bernhard Schlink typischen nüchternen und zugleich berührenden Erzählweise beschreibt er, wie der Ich-Erzähler die ihm noch verbleibende wertvolle Zeit sinnvoll gestalten möchte. Martin Brehm reflektiert, was er für seinen Sohn bisher für ein Vater war und überlegt, wie er ihm in der verbleibenden Zeit noch so viel Vater wie möglich sein und was er ihm für seine Zukunft ohne Vater mitgeben kann. Er entscheidet sich gegen ein Video (Vorschlag von Ulla) und für einen Brief über das Leben und die Liebe. Sowie eine gemeinsame Reise samt Bau eines kleinen Staudamms sowie einen Komposthaufen im Garten.
Während der ihm verbleibenden Zeit macht sich Martin Brehm Gedanken zu den großen Fragen und letzten Dingen des Lebens und reflektiert seine Gefühle im Hinblick auf das Ende der eigenen Existenz.
Was gehörte sich in seiner Situation? Gab es ein Gefühl, das man im Angesicht des Todes zu haben hatte? Er war sechsundsiebzig, und natürlich hatte er in den letzten Jahren gelegentlich über den Tod nachgedacht.
Bernhard Schlink Das späte Leben S. 15f
Dann erfährt er, dass seine Frau ihn betrügt. Und wie er damit umgeht, ist, wie ich finde, mit das überraschendste an diesem Buch. Mehr möchte ich vorab nicht erzählen, bitte selbst lesen – unbedingt empfehlenswert!
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Bernhard Schlink
Das späte Leben
ISDN 978-3-257-07271-6
Diogenes Verlag