Interview: drei Fragen an Marita Strubelt

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Frau Strubelt, Ihr Ratgeber Patchwork Power wendet sich vor allem an Stiefmütter und unterstützt diese dabei, in der neuen Familiensituation gut zurecht zu kommen. In unserem heutigen Gespräch möchte ich den Fokus auf die leiblichen Mütter der bereits vorhandenen Kindern in Patchwork-Familien lenken. Ich arbeite in der Mediation viel mit Patchwork-Familien und nehme dabei immer wieder wahr, wie entscheidend das Verhalten der leiblichen Mütter für das Gelingen der neuen Familienkonstellation ist. Und wie wichtig es ist, dass sie ihre Kinder dabei unterstützen, die von ihnen geforderten Anpassungsleistungen zu erbringen, um in den beiden unterschiedlichen Eltern-Welten samt neuer Familien gut zurecht zu kommen.

Ihre Erfahrung als Beraterin von Patchwork-Familien interessiert mich daher sehr, insbesondere Ihre Arbeit mit den leiblichen Müttern, nachdem die Väter neue Beziehungen eingegangen sind und weitere Kinder bekommen haben.

1) Welche Sorgen und Ängste haben Ihrer Wahrnehmung nach Müttern, wenn die Väter ihrer Kinder neue Familie gründen? Wie besprechen Sie mit Müttern insbesondere die Sorge, die neue Partnerin könnte ihre Stellung als Mutter beeinträchtigen? Ich hatte schon häufiger Mütter in der Mediation oder in meiner Familiensprechstunde, die es enorm schwierig fanden, dass ihre Kinder die Stiefmutter Mama nannten. Wie erleben Sie dies und was raten Sie Müttern? 

Eine neue Situation bringt immer Unsicherheit mit sich. Gerade wenn eine Trennung noch frisch ist, sind viele Ängste da – auf allen Seiten. Die Kinder dem anderen Elternteil zum Umgang zu überlassen, fällt vielen Eltern nicht leicht. Wer weiß schon genau, was dort passiert, was das Kind erlebt, wie es ihm geht und wie viel es von dem erzählt, was es in der Zeit erlebt? Gleichzeitig ist die Mutter selbst währenddessen vielleicht alleine, fühlt sich traurig und nutzlos. 

Die Vorstellung, dass die Mutter Party macht, wenn ihr Kind weg ist, entspricht nur in den seltensten Fällen der Realität – das wurde mir schon mehrfach bestätigt! Genauso falsch ist allerdings die Annahme, die “Neue” wolle sich das Kind unter den Nagel reißen und die Mama ersetzen. 

Durch diese Gedanken werden vorhandene Ängste verstärkt. Es entsteht die Ambivalenz, dass es dem Kind natürlich gut gehen soll, und die Sorge, selbst dafür nicht wichtig zu sein oder nicht mehr in dem gewohnten Maße beizutragen. Deshalb fällt es vielen Müttern schwer, sich schöne Geschichten vom Wochenende anzuhören und obendrein, wie nett, hübsch und lustig die neue Freundin vom Papa ist. 

Das führt dazu, dass sich der Loyalitätskonflikt beim Kind verstärkt. Darf es bei Papa mit der neuen Frau überhaupt Spaß haben? Oder macht es damit die Mama traurig? Im Idealfall sollte das Wohlergehen des Kindes bei allen Beteiligten im Fokus stehen. Das gelingt auf Dauer dann am besten, wenn auch die Bedürfnisse der Erwachsenen gesehen werden. 

Dass die Mutter nicht möchte, dass das Kind zur neuen Frau “Mama” sagt, kann ich sehr gut nachvollziehen! Gerade diese liebevolle Bezeichnung ist ja ein Symbol für Liebe, Zuneigung und Verbindung. Eine Mutter sagte mir mal, für sie habe es etwas mit Würde zu tun. “Es gibt nur eine Mama. Punkt.” Leider wird schon die Bezeichnung “Stiefmutter” oder auch der moderne Begriff “Bonusmama” diesem Wunsch ja nicht gerecht. 

Wie immer hilft es, darüber miteinander zu sprechen und möglichst eine gemeinsame Lösung zu finden. Ich sage gern, dass eine weitere Bezugsperson ein ZUsatz und kein ERsatz ist. Das Familiensystem muss sich umsortieren, so dass die neue Partnerin eine eigene Position einnehmen kann. In den meisten Fällen rate ich dazu, einen individuellen Namen zu finden. Viele nutzen einfach ihren Vornamen oder eine kreative Bezeichnung wie Blumenmama. 

Ich war eine Zeitlang für meinen Bonussohn “Mamita”, eine Mischung aus Mama und Marita.

2) Welches Verhalten von leiblichen Müttern gegenüber den neuen Partnerinnen ist Ihrer Erfahrung nach besonders hilfreich? Wie können leibliche Mütter auf die neue Partnerin zugehen? Was können leibliche Mütter ganz konkret dazu beitragen, dass die neue Familienkonstellation gut funktioniert? 

Viele Mütter und auch Stiefmütter berichten mir, dass sie sich wünschen, die andere Frau kennenzulernen. Genauso häufig höre ich allerdings, dass “die Andere” das eben nicht wolle oder ein solches Treffen dann in Vorwürfen oder Anschweigen von statten gegangen ist. 

Ich bin der Überzeugung, dass ein direkter Kontakt wertvoll ist. Über Bande entstehen viel häufiger Missverständnisse, die hinterher wieder ausgeräumt werden müssen. Damit ein solches Kennenlernen positiv verläuft, sollte man sich vorher vor allem mit sich selbst beschäftigen: Was sind meine Ängste? Welche Bedürfnisse habe ich? Welche Wünsche gehen an die andere Seite? Bin ich offen dafür, auch die Anliegen meines Gegenüber zu hören? 

Grundsätzlich ist die Haltung hilfreich, dass wir alle jetzt in einem Boot sitzen und ein gemeinsames Ziel haben: diese Patchworkfamilie zu wuppen. Also nicht Partei A gegen Partei B, sondern wir gemeinsam auf der einen Seite und diese große neue Herausforderung auf der anderen. 

Genau dieselben Ratschläge gebe ich übrigens auch den Vätern und Stiefmüttern. Ich bin überzeugt, dass es egal ist, wer im Patchwork damit anfängt es anders zu machen. Wie in einem Mobile hängen alle zusammen. Insofern hat jeder und jede die Möglichkeit, Dinge anzustoßen und in Bewegung zu bringen.

3) Für Kinder bedeutet es viel Offenheit und Anpassungsleistung, sich in den beiden unterschiedlichen Lebenswelten ihrer Eltern zu bewegen, mit neuen Parter:innen zusammenzuleben sowie mit Stief- und Halbgeschwister zu bekommen. Wie können die leiblichen Mütter ihre Kinder dabei unterstützen, mit der neuen Familienkonstellation gut zurechtzukommen? Wie können sie diese stärken und ermutigen? 

Für Kinder ist es grundsätzlich möglich, sich in beiden Welten geborgen und sicher zu fühlen. Dafür braucht es die Sicherheit, beide Eltern lieben zu dürfen. 

Vorhin haben wir schon über Loyalitätskonflikte gesprochen. Diese werden befeuert, wenn ein Elternteil schlecht über den anderen spricht oder das Kind versucht, für seine Zwecke einzuspannen.  Auch unbedachte Äußerungen in scheinbar unwichtigen Nebensätzen (“Das ist ja wieder typisch dein Vater!”) haben daran einen erheblichen Anteil. Das Kind ist dann in einer ständigen Stresssituation, um mit ihrer Liebe zum einen Elternteil nicht den anderen zu verlieren. 

Abb. aus Patchwork Power – So wird die Sache mit der Bonusfamilie zum echten Bonus. 

Eine kleine Zeichnung von einem Dreieck veranschaulicht, was Kinder brauchen, um sich sicher zu fühlen. Die Beziehung (hier durchgezogenen Linien) des Kindes zur Mutter und die Beziehung zum Vater müssen weiter bestehen bleiben. Das ist das grundlegende Gefühl, bedingungslos geliebt zu werden. Egal wie die äußeren Umstände sind. Das Kind braucht die Beziehung zu beiden Elternteilen. Darüber hinaus braucht es die Gewissheit, dass es für den jeweils anderen Elternteil in Ordnung ist, dass diese Liebe weiter besteht.

Das Kind braucht also vier Dinge:

  • Die Beziehung/Liebe zur Mutter
  • Die Beziehung/ Liebe zum Vater
  • Die Gewissheit, dass die Liebe zur Mutter für den Vater ok ist
  • Die Gewissheit, dass die Liebe zum Vater für die Mutter ok ist.

Für die emotionale Sicherheit des Kindes ist es hingegen nicht relevant, wie die Beziehung zwischen den Eltern (hier die gestrichelte Linie) aussieht. Das Verhältnis zwischen “Frau” und “Mann” ist ja durch die Trennung beendet. Die Rolle als “Mutter” und “Vater” besteht aber weiterhin.

Vielleicht hilft es, sich ein kleines Dreieck an den Spiegel oder die Kühlschranktür zu zeichnen, um sich an diese Prinzipien immer wieder zu erinnern. Wenn dieser Unterschied deutlich gelebt wird, ist das eine gute Basis für den weiteren Aufbau der Patchworkfamilie.

Liebe Marita Strubelt – herzlichen Dank für das schöne Gespräch!

Marita Strubelt, geboren am 11.11. 1981 in Hamburg, studierte Chinesisch und BWL, bevor sie sich ganz dem Thema Kommunikation widmete und als Familiencoach selbständig machte. Sie ist Mutter und Stiefmutter von „zwei Bauchkindern und einem Bonuskind“.
Mit ihrem Blog „Patchwork auf Augenhöhe“ leistet sie einen wertvollen Beitrag für eine wertschätzende Kommunikation in Patchwork-Familien. Sie lebt mit ihrem Mann und den Kindern in Frankfurt am Main.

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