Endlich habe ich den Roman „Kurt“ von Sarah Kuttner gelesen.
Vor allem geht es in diesem Roman darum, was der plötzliche Unfalltod eines Jungen mit dessen Familie macht, zunächst den Eltern, aber auch Großeltern und neuen Partnerinnen und Partnern. Im Zentrum der Geschichte steht, was dieser unfassbare Verlust für die Eltern aber auch das Umfeld bedeutet und wie sie mit der überwältigenden Trauer versuchen umzugehen. Darum, dass das Leben für alle trotzdem weitergeht.
»Ich bin mit zwei Kurts zusammengezogen. Einem ganzen Kurt und einem Halbtagskurt. Jana und Kurt haben sich entschieden, dass sie ihr Sorgerecht teilen, vor allem wenn Kurt schon extra aufs Land zieht. Und so pendelt das Kind nun wochenweise zwischen seinen beiden Oranienburger Zuhauses hin und her: zwei Häuser, zwei Kinderzimmer, unterschiedliche Regeln und alle Menschen, die er liebt.
Und dann bin da noch ich.« (Zitat von der S. Fischer Verlag Seite)
Bis zum Unfalltod schildert das Buch sehr alltagsnah, detailgetreu und humorvoll das Leben getrennter Eltern eines Kindes. Auf Seiten des Vaters mit neuer Partnerin und auf Seiten der Mutter mit neuem Partner und einem weiteren Kind. Die Eltern betreuen ihren gemeinsamen Sohn Kurt im Wechselmodell, mit wöchentlichem Wechsel, durch Abholen des Kindes durch den umgangssuchenden Elternteil.
Die Ich-Erzählerin ist die Freundin des Vaters und zieht mit ihm von Berlin in ein Haus nach Brandenburg, damit der Vater in der Nähe seines sechsjährigen Sohnes leben und diesen auch im Alltag wochenweise betreuen kann. Neben ausgiebigen Ausführungen zum Garten erzählt Sarah Kuttner in diesem Roman sehr anschaulich die Wochen mit Kind im Vergleich zu der Zeit ohne Kind aus der Perspektive der neuen Partnerin Lena.
Die Protagonistin schildert ihre Rolle als Stief-Mutter von Kurt und beschreibt in einem sehr liebevollen Ton die oft innigen Momente zwischen ihr und dem Kind. Aber sie erzählt auch gut nachempfindbar von den vielen Unsicherheiten, die mit dieser neuen Rollen einhergehen. Sie weiß oft nicht richtig, was sie will und wieviel sie darf und wie viel sie soll (so sinngemäß Kuttner in einem sehr lesenswerten Interview mit dem Deutschlandfunk). Dies beschreiben mir viele Stiefmutter, vor allem oft solche ohne eigene Kinder, ist aber auch ein Thema für Patchwork-Eltern, unabhängig davon ob Mütter oder Väter, die zeitweise mit den Kindern des Partners bzw. der Partnerin zusammen leben.
Bevor Lena all das klären in Ruhe ausprobieren, klären und leben kann, stirbt plötzlich Kurt bei einem Spielunfall und nun entgleitet ihr dessen Vater, der sich in der Trauer von Lena zurückzieht und viel Zeit mit der Mutter von Kurt sowie alleine verbringt. Und Lena weiß nicht, ob und wieviel sie selbst trauern darf, denn auch sie hat das Kind verloren, auch wenn es nicht ihr eigenes ist und ihr die Trauer dadurch weniger wert oder weniger berechtigt erscheint. Aus Unsicherheit und Rücksicht gegenüber dem trauernden Vater nimmt sie sich stark zurück. Der weitere Weg als Paar samt Trauer wird von Sarah Kuttner liebevoll und glaubhaft beschrieben.
Das Buch für mich bereits deshalb lebenswert, weil es das Stief- und Patchwork- Familienleben sehr echt und nachvollziehbar darstellt. Sehr gut nachvollziehbar finde ich, wie schwer es für die Freundin ist, ihren Platz zu finden und ihre Rolle gegenüber Kurt zu definieren. Der Roman schildert eine Stief- bzw. Patchwork-Familie, die zunächst gut funktioniert, und zeigt, dass es dennoch herausfordernd für alle Beteiligten ist, in diesem umfassenden Familienkonstrukt den eigenen Platz zu finden und die persönliche Rolle passend auszugestalten.
Sarah Kuttner erzählt in einem Interview, dass sie ursprünglich einen Roman über eine Patchwork-Familie schreiben wollte, und das ist ihr, wie ich finde, sehr anschaulich und lebensnah gelungen, mit ihrem liebevollen und zugleich stets leicht schrägen Humor, wodurch es ihr in diesem wie in ihren anderen Büchern gelingt, schwere Themen nicht nur aushaltbar sondern auch originell und unterhaltsam zu erzählen.
Details zum Buch gibt es auf der Seite des S. Fischer Verlags.