Interview: drei Fragen an Marianne Nolde zu Willen und Wünsche der Kinder

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Marianne Nolde war bereits dreimal im Familie bleiben Podcast zu Gast, alle drei Folgen sind unten verlinkt.

Als Psychologin und Gutachterin für Familiengerichte begleitete sie viele Jahre Trennungseltern und hat selbst eine Scheidung mit Kindern durchlebt. Beide Sichtweisen und Erfahrungen kombiniert sie in “Eltern bleiben nach der Trennung” zu einem sehr liebevollen, alltagsnahen und äußerst nützlichen Ratgeber.

In zweiten Podcast-Gespräch vom 21. April 2023 mit ihr geht es darum, ob und wie Eltern bei einer Trennung die Wünsche und den Willen ihrer Kinder in Erfahrung bringen und bei ihren Entscheidungen über das zukünftige Familienleben berücksichtigen können. Denn immer mehr Eltern, die mit ihren Kindern einen bedürfnisorientierten und partizipatorischen Erziehungsstil pflegen, möchten deren Vorstellungen und Wünsche auch bei Entscheidungen im Rahmen einer Trennung einbeziehen, z.B. zum Umgangsmodell, also dazu, wann die Kinder mit welchem Elternteil gemeinsame Zeit verbringen.

Zu diesem Thema stellen wir Marianne Nolde hier im Blog ergänzend zum Podcast Gespräch drei kurze Fragen.

Frage 1

Welche Nachteile und Gefahren sehen Sie beim Einbezug von Kindern?

Nachteile und Gefahren sehe ich nur dann, wenn die Kinder auf eine ungünstige Weise einbezogen werden. Dass heute mehr Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder ernstnehmen und sie entsprechend begleiten, ist auf jeden Fall eine gute Entwicklung.

Zu den Grundbedürfnissen von Kindern gehören sichere Bindungen und das Erleben verlässlicher Eltern. Im Idealfall sollten sie das auch bei und nach einer Trennung weiter erleben können.

Ich halte es nicht für die beste Lösung, Kinder bei der Konfrontation mit der Trennung als erstes nach ihren Wünschen zu fragen. Es ist entlastend für sie, wenn zunächst die Eltern ein Konzept entwickeln, wie es weitergehen kann, und wenn sie die Weichen stellen. Sie überblicken besser, was praktisch umsetzbar ist, von finanziellen Erfordernissen und Arbeitszeiten bis hin zu ihrer emotionalen Situation, die z.B. darüber entscheidet, wie viel Zusammenwirken ihnen aktuell möglich ist.

Wenn sie das Ergebnis ihren Kindern mitteilen, können anschließend immer noch deren Wünsche einbezogen werden, soweit das umsetzbar ist, und es kann auch immer noch darüber verhandelt werden, das ist mit einem partizipatorischen Erziehungsstil daher gut vereinbar. Ich halte das jedenfalls für die viel günstigere Reihenfolge.

Werden die Kinder stattdessen vorab gefragt, bei wem sie wann, wie oft und wie lange bleiben wollen, schürt das Loyalitätskonflikte. Es kann die Eltern-Kind-Beziehungen belasten und die Kinder überfordern, weil sie manche Details, die bei Entscheidungen zu Betreuungsmodellen berücksichtigt werden müssen, noch nicht einschätzen können. Und warum sollte man Kinder einem Loyalitätskonflikt aussetzen, wenn man dann nachher vielleicht sagen muss, dass ihr Wunsch aus praktischen Gründen so doch nicht umgesetzt werden kann?

Natürlich machen das Alter beziehungsweise der Entwicklungsstand der Kinder dabei einen Unterschied, je älter umso eher sind sie in der Lage eigenverantwortlich abzuwägen. Mit Jugendlichen könnten z.B. unterschiedliche in Frage kommende Modelle gemeinsam durchdacht werden; da sehe ich Gefahren höchstens darin, sie nicht einzubeziehen.  

Eltern, die auf diese Weise ihren Kindern eine Orientierung in der Trennungssituation anbieten, erfüllen damit das kindliche Bedürfnis nach Sicherheit, das kann beruhigend wirken. So nach dem Motto: Es werden Veränderungen auf mich zukommen, aber meine Eltern haben noch einen Plan. Ich werde mich wohl weiterhin auf sie verlassen können.

Frage 2

Welche Vorteile sehen Sie darin, die Wünsche und Vorstellungen der Kinder einzubeziehen?

Wie schon gesagt sollen ihre Wünsche und Vorstellungen auf jeden Fall einbezogen werden, sofern dem nichts Schwerwiegendes entgegensteht, z.B. wenn die Betreuung dann gar nicht gesichert wäre.

Kinder haben sich die Trennung nicht ausgesucht, sie müssen das hinnehmen. Da ist es hilfreich, wenn sie sich trotzdem noch als selbstwirksam erleben können und spüren, dass ihre Wünsche gehört und berücksichtigt werden. Das stärkt ihr Vertrauen, dass ihre Eltern auch in der Krise weiter für sie da sein werden. Die Situation ist nicht erfreulich, aber es wird leichter für sie, wenn sie begreifen, dass sie das Neue nicht einfach erleiden müssen, sondern mitgestalten können und auch immer wieder Veränderungen möglich sein werden – im Grunde nicht anders, als es im Zusammenleben als Familie bei bedürfnisorientierter Grundhaltung schon der Fall war. Auch in zusammenlebenden Familien gibt es Veränderungen, die nicht immer erwünscht waren, auf die man sich einstellen und für die man Lösungen finden muss, die für alle tragbar sind.

Kinder haben sich die Trennung nicht ausgesucht, sie müssen das hinnehmen. Da ist es hilfreich, wenn sie sich trotzdem noch als selbstwirksam erleben können und spüren, dass ihre Wünsche gehört und berücksichtigt werden.

Marianne Nolde

Jugendlichen ist es besonders wichtig, dass ihre Selbstbestimmung geachtet wird. Sie sind dabei, sich von ihren Eltern abzunabeln und eigene Wege zu gehen, und sie möchten darin von ihren Bezugspersonen gesehen und unterstützt werden. Da müsste es schon ganz gravierende Gründe geben, ihre Wünsche nicht zu berücksichtigen.

Frage 3

Wie kann dies gut gelingen? Welche Herangehensweise halten Sie hier für sinnvoll?

Ich rate Eltern, wenn eben möglich gemeinsam ein Betreuungs- beziehungsweise Umgangsmodell zu erarbeiten, das sie sich beide vorstellen können. Wenn das in der oft angespannten Lage in der Trennungsphase nicht gelingt, können Beratung, Mediation oder Coaching diesen Weg erleichtern. Erst dann sind die Voraussetzungen dafür günstig, den Kindern die Trennung mitzuteilen (nicht selten haben die aber schon etwas geahnt). In einem gemeinsamen Trennungsgespräch – sofern es nicht allzu konflikthafte Zuspitzungen gibt, die dagegen sprechen – können sie ihre Vorstellungen erklären und dann natürlich auch die der Kinder anhören und auf deren Fragen, Sorgen und Ängste eingehen.

Es muss dabei nicht alles gleich geklärt werden, das ist auch gar nicht möglich. Eltern können quasi eine Einladung an ihre Kinder aussprechen, sich jederzeit an sie zu wenden, wenn sie noch Fragen oder Ideen haben, und auch Eltern können sich Bedenkzeit erbitten, um erst einmal herauszufinden, ob sie einen bisher nicht bedachten Wunsch ihrer Kinder doch noch erfüllen können.

Die neue Lage muss von allen erst einmal verdaut werden, und wenn dabei die Botschaft überkommt, dass man weiter eine Familie – wenn auch unter anderen Umständen – sein wird und keine Beziehungen verlorengehen sollen, dann ist das eine Basis, auf der ein verändertes Familienleben wachsen kann.

Vielen Dank für das Gespräch – ich freue mich schon sehr auf unseren weiteren Austausch ab Herbst 2023!

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Quellen