Diplom-Psychologin Turid Müller hat einen fundierten und umfassenden Ratgeber zu verdecktem Narzissmus in Beziehungen geschrieben, den ich allen Interessierten sehr ans Herz legen kann. Ich möchte von ihr wissen, wie es gelingen kann, nach dem Ende einer als missbräuchlich erlebten Beziehung dennoch Eltern für die gemeinsamen Kinder zu bleiben, miteinander zu kooperieren und kommunizieren.
Frage 1
Liebe Turid, vor kurzem ist dein Ratgeber “Verdeckter Narzissmus in Beziehungen” erschienen, worum geht es hierbei, kurz gesagt?
Mein Buch beschäftigt sich mit einer Facette von Narzissmus, die sehr schwer als solcher erkennbar ist, weil die Verhaltensweisen der Betroffenen auf den ersten Blick nicht narzisstisch wirken. Oft ist es sogar so, dass sie – im Gegenteil – eher altruistisch rüberkommen. Die zugrundeliegenden narzisstischen Motive für diese Handlungen sind also nicht direkt beobachtbar, sondern müssen erschlossen werden.
Ein Beispiel: Anderen zu helfen sieht nach einem empathischen und selbstlosen Einsatz aus. Doch das Engagement kann auch an den Tag gelegt werden, weil sich die helfende Person überlegen fühlen bzw. Dank oder Anerkennung für die gute Tat einheimsen möchte. Daher ist es für Menschen, die sich in Partnerschaften mit verdeckt narzisstischen Menschen wiederfinden, besonders schwer, das überhaupt zu bemerken. Sie können mitunter Jahre- und Jahrzehnte lang emotional missbräuchlichem Verhalten ausgesetzt sein, ohne den Finger drauflegen zu können.
Vielleicht kommen sie der Antwort auf die Frage, warum sie sich so unglücklich, erschöpft oder krank fühlen, erstaunlich nahe. Aber wenn sie bei ihrer Recherche auf Begriffe wie „Narzissmus“ oder „toxische Beziehungen“ stoßen, finden sie sich darin nicht wieder. Denn ihre Partnerschaft wirkt ja auf den ersten Blick liebevoll. Doch allein diese Suche, ist ein Warnzeichen dafür, dass etwas in der Beziehung nicht stimmt: Glücklich Verpartnerte geben solche Begriffe nicht in die Suchmaschine ein.
Natürlich können wir charakteristische Muster erkennen lernen. Letztendlich ist es allerdings kaum möglich zu sagen, ob das Gegenüber wirklich narzisstische Züge oder gar eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat – das ist ja sogar für Profis nicht so einfach. Und Label bergen natürlich immer auch Gefahren. Die Dämonisierung von Narzissmus, die derzeit medial läuft, ist beispielsweise nicht hilfreich. Doch für den Hausgebrauch ist eine Diagnose auch gar nicht nötig. Es reicht, wenn wir uns fragen, ob es uns in unserer Beziehung gut geht. Wenn nicht, haben wir unsere Antwort.
Frage 2
Für den Fall einer Trennung beschreibst du als eine sinnvolle Herangehensweise in deinem Buch den konsequenten Kontaktabbruch zur verdeckt narzisstischen Partner:in. Das kann ja aufgrund der aktuellen Wohnsituation, wegen gemeinsamer Kinder oder aufgrund finanzieller Abhängigkeiten undenkbar sein – was dann?
Wenn No Contact als Strategie nicht durchführbar ist, ist es wichtig, sich dennoch so gut wie möglich in Sicherheit zu bringen. Dazu gehört eine größtmögliche Trennung. Außerdem ist es wichtig, sich professionelle Unterstützung zu organisieren – und zwar am besten psychologisch sowie juristisch. Dabei sollte man darauf achten, dass die Ansprechpartner*innen sich mit narzisstischen Beziehungen auskennen, denn das ist leider nicht die Regel.
Bei der Inanspruchnahme von Support ist eher davon abzuraten, diesen gemeinsam aufzusuchen; gerade Paartherapien beispielsweise können kontraproduktiv sein: Nicht selten zieht der narzisstische Part den oder die Berater*in auf seine Seite. Oder ungeschulte therapeutische Augen verwechseln den emotionalen Missbrauch nicht selten mit einer normalen Paar-Dynamik, und suchen die Verantwortung bei beiden Beteiligten – oder gar nur beim Opfer, weil es so durcheinander wirkt. Das kann retraumatisierend sein.
Wichtig ist, sich schlau zu machen, was beim Co-Parenting mit einem narzisstischen Elternteil zu beachten ist – auch und gerade zum Wohle der Kinder.
Es kann sinnvoll sein, Medien zu wählen; die etwas Distanz ermöglichen: Statt eines Treffens, ein Telefonat. Satt eines Telefonates eine Mail. Statt einer Mail eine Textmessage. Der Vorteil an der Schriftform ist offenkundig auch, dass man Belege für alle Interaktionen hat – falls das mal juristisch relevant wird, kann das vorteilhaft sein.
Außerdem gibt es natürlich Kommunikations-Strategien für den Umgang mit dem oder der narzisstischen Ex, die das Miteinander erleichtern…
Frage 3
Welche Methoden empfiehlst du für die Kooperation und Kommunikation mit dem anderen Elternteil?
Die bekannteste Kommunikations-Technik in diesem Zusammenhang ist Grey Rock. Dabei versucht man, für narzisstische Menschen so langweilig zu werden wie ein grauer Stein. Im besten Fall gelingt es, weder narzisstische Zufuhr zu geben noch als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Dafür antworten wir kurz, laden nicht zum Vertiefen ein, stellen keine Rückfragen, bleiben freundlich aber an der Oberfläche und so weiter.
Das kann gerade für gemeinsame Elternschaft unter Umständen zu reduziert sein, um alles Nötige zu besprechen. Daher gibt es weitere Techniken – zum Beispiel Firewalling (Dr. Ramani Durvasula). Wie das funktioniert, ist für alle selbsterklärend, die ungefähr wissen, was eine Firewall macht: Sie ermöglicht und Kontakt mit der virtuellen Welt, indem sie Schadsoftware aussperrt. Äquivalent dazu achten wir bei dieser Methode genau darauf: Heikle Themen werden umschifft, tiefe Geheimnisse und wunde Punkte ausgespart, um sich nicht unnötig verletzlich zu machen. Alles, was mit diesem Menschen trotz Narzissmus möglich ist, kann aber stattfinden.
Erhellend finde ich auch die DEEP-Technik von Dr. Ramani Durvasula, einer Expertin im Bereich Narzissmus. Das Akronym bedeutet:
D | Don‘t defend! | Nicht defensiv reagieren! |
E | Don‘t defend! | Nicht erklären! |
E | Don‘t engage! | Nicht engagieren! |
P | Don‘t personalize! | Nicht persönlich nehmen! |
Das ist eine ziemliche Aufgabe – aber unter Umständen ein hilfreicher Wechsel der inneren Haltung.
Vielen Dank für deine Antworten, Turid – ich freue mich bereits auf mehr in unserem ausführliches Gespräch!
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Turid Müller
Verdeckter Narzissmus in Beziehungen – Die subtile Form toxischen Verhaltens erkennen und sich von emotionalem Missbrauch befreien
ISBN: 978-3-424-63224-8
Kailash Verlag
Fotograf Titelbild: Torge Niemann