Frage 1
Liebe Frau Steffens, Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Elternteilen, während diese durch eine Trennung gehen. Was können Ihrer Erfahrung und Expertise nach beide Eltern gemeinsam tun, um die Kinder gut durch diese oft belastende und ungewisse Zeit des Umbruchs zu begleiten?
Als Erziehungswissenschaftlerin habe ich mich intensiv mit den Bedingungen einer gesunden kindlichen Entwicklung beschäftigt. Ich habe dann viele Jahre in Familienberatungsstellen und in freier Praxis mit Trennungseltern gearbeitet. Dieser Schwerpunkt ist mir mit der Zeit zugewachsen, denn zu Beginn meiner Tätigkeit vor inzwischen 30 Jahren gab es noch nicht so viele spezialisierte Angebote wie heute.
Vielen Dank für diese Frage! Gemeinsam nach einer Trennung etwas für die Kinder zu tun, das ist aus meiner Erfahrung zumindest zeitweise sehr schwierig! Ich erlebe viele Elternteile, die so maßlos enttäuscht sind, weil gerade das nicht gelingt. Ganz so, als ob sie sich sagten: „Wenn es uns schon nicht gelungen ist, eine vorbildliche Familie zu sein, dann sollten wir wenigstens vorbildliche Trennungseltern sein!“
Doch das braucht Zeit. Einmal ganz davon abgesehen, dass eine Elterntrennung sich in Phasen vollzieht, von denen einige für einen einigermaßen zielorientierten Umgang ein hohes Maß an Selbstreflexion erfordern, gelingt gemeinsame Elternschaft am besten, wenn jede/r ihre/seine persönliche Position im veränderten Familiengefüge gefunden hat. Dies bedeutet Arbeit an und Auseinandersetzung mit sich selbst, und diesen Weg kann nur jede/r für sich allein gehen. Wichtig ist, dass währenddessen die Kommunikation mit den Kindern nicht abbricht. Ändern jedoch kann man immer nur sich selbst!
Was also können Eltern – jede/r für sich – tun, um die gemeinsamen Kinder gut durch diese Krise zu begleiten?
Sie können sich über die besonderen Bedürfnisse von Trennungskindern unterschiedlichen Alters informieren und ihren Umgang miteinander und mit dem Kind reflektieren darauf abstimmen, indem sie innerhalb verantwortungsvoller Grenzen mit dem Kind im Gespräch bleiben. Wenn es Eltern gelingt, die Liebe ihrer Kinder zum anderen Elternteil glaubhaft zu respektieren, dann haben sie damit schon eine ausgezeichnete Grundlage geschaffen! Im Extrem könnte sich das in einer Übergabesituation etwa so anhören: „Ich wünsch dir von Herzen ganz viel Spaß mit Papa/Mama, und ich verabschiede mich jetzt hier schon mal von dir, weil ich mich gerade sehr über sie/ihn ärgere, und dann wird es nur blöd, wenn wir aufeinander treffen, ok?“
Kinder kennen das Gefühl, sauer zu sein, sich zu ärgern – und sie wissen oft besser als Erwachsene, dass diese Gefühle vorübergehen. Begegnen Eltern ihnen authentisch, so bieten sie ihnen eine realistische Orientierung in dieser Zeit des Umbruchs und der Neu-Findung, und das ist es, worauf es ankommt.
Ganz wichtig ist es, alles zu vermeiden, das ein Kind in Loyalitätskonflikte stürzen könnte! Loyalitätskonflikte sind Konflikte, bei denen Kinder das Gefühl haben, sie müssten sich mit ihrer Liebe für einen von beiden Elternteilen entscheiden. Damit sind Kinder so stark überfordert, dass dies ein Entwicklungstrauma begründen kann. Respektieren Eltern hingegen, dass Kinder beide Eltern lieben und brauchen – wenn auch in unterschiedlicher Weise – dann haben sie die Weichen dafür gestellt, dass Kinder sogar gestärkt aus dieser Krise hervorgehen können.
Außerdem ist es sehr wichtig, alles zu vermeiden, das den spontanen Impuls von Kindern, sich an der elterlichen Trennung schuldig zu fühlen, provozieren und verstärken könnte.
Unter diesen drei ganz zentralen Voraussetzungen ist eine Elterntrennung für alle Beteiligten nicht nur eine Krise, sondern auch eine Chance, auch für eine eigenständige und tragfähige, ganz besondere Beziehung des Kindes zu beiden Eltern.
Frage 2
Angenommen, die Eltern können nicht gut kooperieren und kommunizieren bzw. ein Elternteil ist sich eher unsicher darüber, ob die Kinder beim anderen Elternteil gut begleitet werden. Was kann er/sie unabhängig vom anderen Elternteil tun?
Was kann kompensiert werden und wann sehen Sie Anlass zur Sorge? Welche Verhaltensweisen und Signale halten Sie für bedenklich? Und was können Eltern bei Sorgen um das Wohl ihrer Kinder unternehmen?
Auch hier eine vielleicht etwas enttäuschende Antwort: Zunächst mal vor der eigenen Tür kehren. Es ist leider so, dass wir den/die andere nicht ändern können. Was wir ändern können, sind wir selbst und unsere Reaktion auf andere.
In meinem therapeutischen Lesebuch „Mit Kindern durch die Trennung“ habe ich der Tatsache, dass Kinder genau die Eltern haben, die ihre Eltern nun mal sind, ein ganzes Kapitel gewidmet. Eltern verändern sich nicht in ihrer Persönlichkeit, nur weil sie sich als Paar trennen, und Eigenschaften, über die sich der/die andere während vor der Trennung geärgert hat, verschwinden nach einer Trennung nicht einfach. Es ist wichtig, dass Kinder ihre eigenen, ganz realistischen Erfahrungen mit beiden Eltern machen. Wir hören gerade in Zeiten von Corona viel von sogenannten „hochstrittigen“ Eltern, die sich gegenseitig beim Kind schlecht machen, doch ist auch das Gegenteil weit verbreitet. Eltern können es schwer ertragen, wenn ihr Kind leidet, und das führt dann dazu, dass sie z.B. Unzuverlässigkeit des/der anderen entschuldigen, das Kind zu „entschädigen“ versuchen und ihm damit letztlich ein unrealistisches Bild vom anderen vermitteln. So sind Enttäuschungen vorprogrammiert, die sich auf das Selbstvertrauen von Kindern niederschlagen.
In meinem Buch stelle ich das Beispiel eines vierjährigen Jungen vor, dessen Vater ihn immer wieder versetzt, indem er Verabredungen nicht einhält. Der Kleine wartet jedes Mal auf ihn und sehnt sich, läuft zur Tür, schaut aus dem Fenster. Das kann die Mutter nicht aushalten. Da der Vater bei der Feuerwehr ist, schaut sie sich gemeinsam mit ihrem Sohn dann Bilderbücher an, um so Ausreden für dessen Unzuverlässigkeit zu finden. Dann vermuten sie, der Vater könne gerade zu einem Löscheinsatz unterwegs oder eine Katze aus einem Baum retten.
Der kleine Junge zieht daraus letztlich den Schluss, dass der Beruf des Vaters grundsätzlich wichtiger als er sein. Als die Mutter dieses Verhalten mit meiner Begleitung ablegt, ermöglicht sie dem Sohn, eine eigenständige Sicht auf den Vater zu entwickeln. Das äußert sich dann u.a. auch manchmal so, dass er nicht mit dem Vater sprechen oder spielen will, wenn dieser spontan vorbei kommt. Mit der Zeit hat das Kind eine ziemlich realistische Vorstellung davon, was ihn mit seinem Vater erwartet. Sie verabreden sich, wenn der Vater vorher telefonisch anfragt, und sie setzen sich auseinander. Mit dem Ergebnis ist die Mutter zwar nicht zufrieden, weil der Kontakt zum Vater für sie nicht planbar und zuverlässig, sondern spontan bleibt, der Junge jedoch baut eine Beziehung zu seinem Vater auf, die dessen realistischen Eigenschaften entspricht.
Wir können also mit der Enttäuschung des Kindes mitfühlen. So helfen wir ihm dabei, eigene Wege und Umgehensweisen und damit eine eigenständige, realistische Beziehung zum anderen Elternteil zu finden.
Selbst dann, wenn Eltern psychisch oder suchterkrankt sind, sind es genau die Eltern, die das Kind nun einmal hat. Niemand wird ein Kind einem nassen Alkoholiker oder einer unbehandelten bipolaren Mutter in der manischen Phase anvertrauen. Das ist anders, wenn der Alkoholiker trocken und die Mutter medikamentös gut eingestellt ist.
Doch dann haben die Familien oft schon einen langen Leidensweg hinter sich, der es ihnen schwer macht, dem/der anderen zu vertrauen. Dennoch besteht der Ausweg nicht darin, den Kontakt zum erkrankten Elternteil zu unterbinden. Vielmehr ist es wichtig, Kinder über die Krankheit zu informieren und mit einem Notfallplan auszustatten, damit es weiß, wie es reagieren kann, wenn Vater oder Mutter einen Rückfall in die Krankheit haben. Auch hier gilt: Kinder haben nun einmal genau die Eltern, die ihre Eltern nun einmal sind.
Es gibt bei nahezu jeder Trennung eine Phase, in der es Eltern sehr schwerfällt, miteinander zu kommunizieren. Hier empfehle ich bei kleineren Kindern ein Elternheft, das mit der Reisetasche des Kindes zwischen den Eltern hin und herwandert. Da können sich Eltern, wenn es sein muss, auch ohne jede Anrede und freundlichen Gruß auf die Informationen beschränken, die zum Wohle des Kindes einfach ausgetauscht werden müssen. Da kann dann z.B. im Falle eines genesenen, jedoch noch medikamentenpflichtigen Kindes stehen: „Antibiotikum geben.“ Oder im Hinblick auf einen geplanten Besuch im Freibad: „Badehose mitgeben!“
Das Gute an dieser Lösung ist, dass ein Kind nicht zum Überbringer von Nachrichten wird. Es kann sich abgrenzen, indem es dem jeweiligen Elternteil das Heft unter die Nase hält und sagt: „Ich sag das nicht. Schreib das da rein!“
Frage 3
Viele Eltern berichten mir, dass ihre Kinder während der Trennung unauffälliger werden, sich zurückziehen und nicht über Gefühle, Ängste und Sorgen sprechen möchten. Was raten Sie Eltern dann? Wie finden Eltern die Balance, etwaige Wünsche der Kinder nach Abstand zu respektieren, und sich gleichzeitig zu kümmern und Gesprächsbereitschaft zu signalisieren?
Wie können Eltern, insbesondere bei schon älteren Kindern diesen gegenüber authentisch und offen sprechen, auch im Bezug auf eigene Sorgen und Gefühle, ohne den anderen Elternteil schlecht zu reden bzw. bei den Kindern Ängste hervorzurufen, ohne diese zum Ersatzpartner/in zu machen?
Grundsätzlich gilt: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!“ Wenn die Beziehung zum Kind grundsätzlich in Ordnung ist – die Bindung also gelungen ist – dann wird sich ein Kind von selbst äußern! Bitte nicht stochern und zerren! In der letzten Zeit höre ich von besorgten Eltern, dass sie in allerbester Absicht mit ihren Kindern vor dem Schlafengehen eine Art Rückblick auf den Tag halten, indem sie eine Liste abarbeiten, die Fragen enthalten wie: „Hat dir Papa/Mama heute gefehlt?“ Davon kann ich nur dringend abraten! Trauen wir uns als Eltern, unserer Erziehung und Begleitung und auch unseren Kindern ruhig etwas zu! Gehen wir mit Selbstvertrauen und Vertrauen in die Beziehung! Wenn Kinder Fragen haben, dann werden sie sie stellen.
Grundsätzlich können Eltern, wann immer es passt, deutlich machen, dass Kinder niemals Schuld an der Trennung haben, und dass sie es für völlig normal halten, dass ein Kind beide Eltern liebt, auch wenn sie selbst grade ziemlich sauer auf den anderen sind.
Ganz wichtig ist es, davon unabhängig immer wieder deutlich zu machen, dass Kinder keinerlei Schuld an der Trennung tragen. Das kann mithilfe von Bilderbüchern, als einfache, neutrale Feststellung, wenn es in den Zusammenhang passt, geschehen oder auch als Erfahrungsbericht:
„Weißt du, Jan hat mir erzählt, dass er sich noch als Erwachsener für die Trennung seiner Eltern verantwortlich gefühlt hat. Dabei ist das totaler Blödsinn, Kinder sind niemals verantwortlich dafür, was in der Beziehung ihrer Eltern passiert.“
Alle Details und Informationen aus der Elternbeziehung gehören nicht in die Beziehung der Eltern zum Kind. Sie sollten auf der Erwachsenebene bleiben, da sie Kinder grundsätzlich überfordern, weil sie sie in Loyalitätskonflikte stürzen könnten.
Wenn ältere Kinder schon eigene Beziehungserfahrungen, vielleicht sogar schon schmerzliche Erfahrungen mit Liebeskummer gemacht haben, dann können sie erwachsener nachvollziehen, wie es ihren Eltern geht. Dennoch gehen auch sie Details aus der gescheiterten Liebesbeziehung der Eltern nichts an. Die überfordern auch ältere Kinder und gefährden die so wichtige Rollenverteilung zwischen Eltern und Kindern. Eine Rollenumkehr entspricht dem Phänomen der „Parentifizierung“. Dies bedeutet eine pathologische Zuspitzung von Loyalitätskonflikten, die es unbedingt zu vermeiden gilt.
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Ute Steffens ist Erziehungswissenschaftlerin mit einer gestalttherapeutischen Zusatzausbildung und hat viele Jahre mit Menschen in Trennungssituationen gearbeitet. Mehr dazu, wie Eltern mit ihren Kindern gut durch die Trennung kommen steht auf ihrem Blog Trennungskinder.
Ute Steffens
Mit Kindern durch die Trennung
edition claus (2022)
22 Euro
ISBN-10 : 3982264340
ISBN-13 : 978-3982264349