Sich nach Jahren eingestehen zu müssen, dass der Mensch auf der anderen Betthälfte uns alles andere als guttut, verändert einen. Es ist ein doppelter Vertrauensverlust – in uns und in die anderen.
Turid Müller
Wer erlebt hat, dass der Mensch, der uns der nächste sein sollte, sich plötzlich als Gefahr entpuppt – mindestens für die seelische Gesundheit – der hat es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht leicht, das Abenteuer Liebe erneut zu wagen. Sich nach Jahren eingestehen zu müssen, dass der Mensch auf der anderen Betthälfte uns alles andere als guttut, verändert einen. Es ist ein doppelter Vertrauensverlust – in uns und in die anderen:
- Wie sollen wir uns nach dieser Erfahrung je wieder auf eine enge Bindung einlassen!?
- Und wieso haben wir das nicht früher gemerkt? Wie konnten wir nur so blind sein!?
Wir zweifeln an unserer Menschenkenntnis. Die Vorstellung, wieder auf die Suche nach einer neuen Partnerschaft zu gehen, kann größte Ängste auslösen. Dabei gilt es zwei Fehler zu vermieden:
- Sich aus Vorsicht nie wieder so tief einzulassen.
- Sich vorschnell in eine weitere ungute Liebesbeziehung zu stürzen.
Die Balance zwischen diesen Extremen zu finden, kann eine echte Herausforderung sein. In der Selbsthilfeszene sind die wichtigsten Ratschläge, die uns sicher durch das Dating bringen sollen:
- Geh es langsam an!
und
- Vertrauen muss verdient werden.
Doch wie genau kann man sich das vorstellen?
Ein Tool, was ich meinen Coachingklient:innen an die Hand gebe, ist „Unter der Schwelle bleiben“. Was genau meine ich damit?
Wenn wir einander kennenlernen, machen wir große und kleine Schritte aufeinander zu. Wenn man mit traumatischen Erlebnissen aus der vorhergehenden Beziehung gekommen ist, können diese Schritte Panik auslösen. Denn aufgrund des Vertrauensverlustes fällt es schwer, zu beurteilen, ob wir uns vielleicht gerade an die nächste Katastrophe binden.
Wenn man nicht weiß, ob wir die große Liebe oder das große Verderben einladen, die Nacht mit uns zu verbringen, hat man mindestens mal gemischte Gefühle.
Turid Müller
Unter der Schwelle bleiben bedeutet, dass wir immer nur so weit gehen, dass die Panik nicht übermächtig wird. Immer nur so weit, wie es sich gut anfühlt. Das klingt banal. Denn man könnte meinen, junge Liebe fühle sich immer gut an. Doch Betroffene wissen vermutlich, wovon ich spreche: Wenn man nicht weiß, ob wir die große Liebe oder das große Verderben einladen, die Nacht mit uns zu verbringen, hat man mindestens mal gemischte Gefühle. Da fällt es unter Umständen schwer, die Verliebtheit zu genießen.
Die Basis dafür, um unter der Schwelle zu bleiben, ist also, dass wir spüren, wo sich diese Schwelle im Augenblick für uns befindet. Dass wir bremsen, wenn sie näher kommt. Und dass wir zurückrudern, wenn wir sie überschritten haben, und erst im Nachgang merken, dass das ein Schritt zu viel war.
Ich kann nur ermutigen, den inneren Hubbel zu überwinden, den es bedeuten kann, der neuen Flamme die eigenen Grenzen (und ggf. auch ihre Gründe) anzuvertrauen. Denn auch das will nach einer Beziehung, in der Grenzüberschreitungen an der Tagesordnung und unsere Bedürfnisse unerwünscht waren, erst mal gelernt sein. Doch die Reaktion, die wir so fürchten, ist in Wahrheit genau das, was wir brauchen: Ein Indikator dafür, mit wem wir es zu tun haben: Wird unser vorsichtiges Tempo wertgeschätzt, ist das eine korrigierende Erfahrung und ein gemeinsames Erlebnis, bei dem Vertrauen verdient wird. Wird unser Tempo nicht respektiert, ist das erst recht ein Grund, einen Gang runter zuschalten, und uns ganz genau anzusehen, ob wir uns mit so einer Person wirklich sicher fühlen. – Ob wir diesen Kontakt wirklich vertiefen wolle?
Mehr zu dieser Technik gibt es übrigens in meinem neuen Selbsthilfe-Podcast #mutigesherz. Jeden Montag erscheint eine neue Folge mit Informationen und Tipps zum Umgang mit Narzissmus und toxischen Beziehungen. Fragen und Anregungen von Hörenden sind hochwillkommen. Das Format bietet Raum, um in der Tiefe darauf einzugehen.