Interview: drei Fragen an Milena Mergell und Thomas Baum

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“Unser Kind hat zwei Zuhause” schildert eine inspirierende Familiengeschichte und besondere Eltern-Freundschaft und habe ich bereits im Oktober 2022 für meinen Blog besprochen. Nun stelle ich Milena Mergell und Thomas Baum drei Fragen, bevor ich die beiden demnächst für meinen Podcast zum ausführlichen Doppel-Interview treffe.

Liebe Frau Mergell, lieber Herr Baum, 

mit großer Freude habe Ihr wunderbares  Buch “Unser Kind hat zwei Zuhause” gelesen. Die begeisterte Besprechung auf meinem Blog kennen Sie ja bereits.

Mehr Familiebleiben nach einer Trennung ist ja wohl kaum vorstellbar! 

Da haben Sie beide offensichtlich ganz vieles richtig gemacht, wozu man Ihnen nur gratulieren kann. Das Buch ist bestimmt eine große Inspiration für andere Trennungseltern. Gleichzeitig werden einige sagen, die hatten es ja auch in vielerlei Hinsicht leicht. Neben ein paar glücklichen Ausgangsparametern denke ich allerdings, haben Sie beide sich das meiste erarbeitet – jede(r) für sich und eben auch gemeinsam.

Ich begleite ja als Mediatorin u.a. Trennungspaare und da interessiert es mich ganz besonders, wie Sie beide im Hinblick auf schwierige Themen miteinander umgegangen sind; wie Sie verhandelt und gemeinsam passende Lösungen für Ihre Familie gefunden haben. 

Frage 1

Welche Regelung im Bezug auf Ihre Tochter zu finden war besonders herausfordern und wie sind Sie beide hier vorgegangen? Jede(r) für sich, aber dann auch gemeinsam? Welche Regelungen haben Sie revidiert oder modifiziert, nachdem Sie merkten, dass entweder Sie beide, eine(r) von Ihnen oder Ihre Tochter damit nicht gut umgehen kann?

MILENA (M): Aus meiner Perspektive war eine unserer großen Stärken die Tatsache, dass wir ohne persönliche Emotionen aus der Paarbeziehung die Fragen rund um unsere Tochter klären konnten. Meine Sichtweise war dabei, dass es für mich klar war, dass ein Leben mit einem präsenten Vater für Minou besser ist als ein Leben nur bei einem Elternteil. Einfach aufgrund der Überzeugung, dass jeder Elternteil einen eigene Charakter und einen eigenen Erziehungsstil hat und ich diese Vielfalt an vermitteltem Wissen und Eigenschaften als positiv ansehe. Dies vorweggenommen war meine persönliche Vorgehensweise dann, dass ich zuerst für mich selber geklärt habe, was in meinen Zuständigkeitsbereich fällt, wofür Thomas verantwortlich ist – und ich mich somit mit meiner Ansicht zurücknehmen muss – und wie ich ggf. eine Situation oder eine Meinungsverschiedenheit lösen möchte. Ich vermute Thomas hat das ähnlich gehalten.

Beispiele für unterschiedliche Ansichten haben wir im Buch unter den Stichworten „Fernsehkonsum“ oder „Sicherheitsempfinden“ vorgestellt. In beiden Fällen war es so, dass wir unterschiedliche Ansichten hatten – und in beiden Fällen haben wir das Problem im Prinzip gar nicht gelöst. Wir haben es angesprochen, der jeweils andere war zu keinem Kompromiss bereit und dann geht es um die Akzeptanz, dass man einfach aufhört reinzureden bzw. sich über den anderen aufzuregen. Wenn ich auf Minou aufpasse, tue ich das auf meine Art und Thomas entscheidet wie er seine Zeit mit Minou verbringt. Keiner von uns hat sein Verhalten verändert und Minou hat am Meisten davon profitiert, dass wir uns nicht streiten. Und natürlich ist das für uns Eltern absolut nicht einfach, aber was tut man nicht alles 🙂

Keiner von uns hat sein Verhalten verändert und Minou hat am Meisten davon profitiert, dass wir uns nicht streiten.

Ähnlich war es auch bei getroffenen Vereinbarungen. Ehrlich gesagt kann ich mich an keine Regelung erinnern, die wir adaptiert haben. Bis auf die Vereinbarung zu den Wechselzeiten gab es auch nicht viele Regeln. Vielleicht muss man aber auch die Punkte kurz ansprechen, die für uns auch ohne konkrete Regeln selbstverständlich waren. Zum einen, dass jeder die Aufgaben rund um das Kind wahrnimmt, die in seinen Zeitraum fallen – sei es Elternabende, Arzttermine o.ä.. Das sollte natürlich nicht bei nur einem Elternteil übernommen werden, selbstverständlich müssen sich beide Elternteile auch bei den Aufgaben einbringen, die vielleicht schwerer mit dem Job vereinbar sind, den Einsatz in der Freizeit erfordern oder einfach nervig sind. 

Das Einzige was wir tatsächlich erst nach Einführung des Wechselmodells gemerkt haben war, das Minou die Übergaben zu schaffen machten. Ein Übergabe an der Haustür war immer ein Drama, Übergaben in der Kita oder später über Freunde war hingegen kein Thema. Dementsprechend haben wir dann darauf geachtet, dass diese Situationen vermeiden und außerdem kurze Stippvisiten zur Übergabe von Klamotten o.ä. unterlassen. Vom Tenor her soll ja die Zeit beim anderen Elternteil nicht durch Abschiede sondern durch schöne Erlebnisse geprägt werden. Ich würde daher immer empfehlen die Kita, Kindergarten oder Schule für den Wechsel zu nutzen und das Kind nicht morgens abzuholen oder abends zum anderen zu bringen. Mit dem Alter hat sich das Thema dann auch von allein erledigt und heute kann sich Minou nicht mehr daran erinnern. Wer genau wen angesprochen hat, kann ich leider nicht mehr sagen, ich glaube das war eine klare Erkenntnis rein aus der Beobachtung heraus was gut funktioniert und was eben nicht – und dann haben wir uns für die Variante entschieden die für Minou am Besten ist. 

Als letzten Zusatz könnte ich noch anfügen, dass wir aktuell auf einen längeren Wechselzeitraum geändert haben. Aktuell befinden wir uns noch in der Analysephase, aber es zeichnet sich eine unterschiedliche Präferenz ab – da werden wir uns demnächst nochmal zusammensetzten. Danach können wir dann sagen, wie wir uns entschieden haben… 

THOMAS (T): Dem habe ich eigentlich nichts mehr hinzuzufügen…

Frage 2

Sie, Frau Mergell, deuten an einer Stelle des Buches an, dass Sie nach der Trennung lieber weg aus Bayern und zurück in Ihre Heimat gezogen wären, der Familie zuliebe aber darauf verzichtet haben. Auch Herr Baum hat sich in der Wohnortwahl angepasst, um das Wechselmodell im Alltag möglich zu machen, wenn auch wohl mit weniger gefühlter Einschränkung, so klingt es im Buch zumindest an. Der Wegzug eines Elternteils nach der Trennung kann erschütternde Auswirkungen auf das bisherige Miteinander der Familie haben, weil gemeinsamer Alltag unmöglich wird, und ist doch gleichzeitig ein nachvollziehbarer Wunsch. Wie haben Sie beide im Hinblick auf die Wohnortwahl eine gemeinsame Lösung gefunden? Stand auch die Überlegung im Raum, dass Herr Baum mit aus Bayern wegzieht? Oder ganz andere Ideen?

M: Das ist ein sehr guter Punkt – und unterstreich im Prinzip, was ich oben erwähnt habe. Mir war total klar, dass a) es für Minou besser ist wenn sie beide Elternteile um sich hat und b) dass es für Thomas keine Option ist wegzuziehen. Ergo war es eine recht einfache Schlussfolgerung – wir haben die Familie in München aufgebaut und damit ist der Standort erstmal gesetzt. Insofern war für mich klar, dass ich an der Stelle meine persönlichen Wünsche zurückstellen muss. Ohne Wechselmodell hätte ich es allerdings anders gesehen, da ich in dem Fall die Unterstützung von Family & Friends benötigt hätte um Beruf und Erziehung unter einen Hut zu bringen. Glücklicherweise mussten wir dies nicht ausdiskutieren, ich glaube das wäre in der Tat schwierig geworden.

T: Es ging uns ja vor allem darum als Familie weiter zu funktionieren und natürlich auch darum unsere Tochter nicht aus ihrem Freundeskreis zu reißen. Sie hatte sich im Kindergarten gut eingelebt und das wollten wir nicht zerstören. Insofern war für mich völlig klar, dass ich mir eine Wohnung in der Nähe suchen würde um auch lange Fahrtzeiten mit Kind an Bord zu vermeiden.

Es ging uns ja vor allem darum als Familie weiter zu funktionieren und natürlich auch darum unsere Tochter nicht aus ihrem Freundeskreis zu reißen.

Frage 3

Eine weitere große Herausforderungen für getrennte Eltern kann das Hinzukommen neuer Partner:innen sein. Ihr Modell der “Brunch-Vorstellung” ist für mich einzigartig und davon habe ich zwischenzeitlich auch schon einigen anderen getrennten Paaren erzählt. Tatsächlich können sich viele Familien, mit denen ich arbeite, in der ersten Zeit nach der Trennung bereits keine regelmäßigen gemeinsamen Samstagvormittage vorstellen, was ja vollkommen in Ordnung ist und dann auch nicht sein muss.
Und der Gedanke, bei dieser Gelegenheit auch die neuen Partner:innen präsentiert zu bekommen, empfinden viele als deutlich überfordernd. Wie kamen Sie zu dieser Regelung? Wie haben Sie hierfür den richtigen Zeitpunkt gewählt, in Bezug auf die Ernsthaftigkeit bzw. Dauerhaftigkeit der neuen Beziehung, aber auch in Bezug auf wie lange nach Ihrer Trennung? Was waren hier die Herausforderungen und wie haben Sie diese gemeistert? 

M: Das ist in der Tat ein Punkt, der vermutlich eine sehr besondere Eigenart unserer Familienkonstellation ist. Auch hier liegt die Basis darin, dass wir unsere Themen als Paar geklärt haben und beide davon überzeugt waren, das wir keinen gemeinsamen Weg mehr für uns sehen. Ohne diese Einsicht von beiden Seiten wird es vermutlich schwierig und wenn die Gefühle nicht geklärt sind, kann eine derartige Konstellation auch nicht funktionieren, sonst wäre es für den Elternteil, der es sich anders gewünscht hätte eine Tortur solche Tage durchzustehen. Ich vermute mit der Zeit wird es leichter und vielleicht ergibt sich dann ja zu einem späteren Zeitpunkt die Gelegenheit es anzudenken…

Bei uns war es aber wie gesagt so, dass wir uns einig waren und außerdem war auch hier wieder Minou der Ausgangspunkt. Da wir bei einer 50/50 Regelung jeweils viel Zeit nicht mit unserer Tochter verbringen, waren die gemeinsamen Frühstücke einfach eine gute Regelung die „schöne“ Zeit am Wochenende etwas mehr auszudehnen. Diesem übergeordnetem Wunsch haben wir andere Bedenken untergeordnet- und wenn die Stimmung mal nicht passt, dann wird es eben ein kurzes gemeinsames Frühstück. Wie so vieles haben wir einfach unsere Ideen und Vorschläge ergebnisoffen ausprobiert und glücklicherweise hat es gut geklappt und sich dann zu einem Ritual eingespielt, welches sicherlich über 5-6 Jahre ein fester Bestandteil unsere Wechselmodells war. 

Der Aspekt der Freundinnen war ebenfalls nicht geplant. Der Grundgedanke war, dass wir gerne wissen möchten, was im Leben unserer Tochter passiert und mit wem sie die Zeit verbringt. Wenn eine neue Person in das bestehende Gefüge tritt bedeutet das automatisch Veränderung und natürlich hat diese Veränderungen auch Auswirkungen auf alle Beteiligten. Für Minou in der Form, dass sich ihre Wochenenden verändern und sie sich die Aufmerksamkeit teilen muss, für uns Eltern wir zusehen müssen wie neue Erlebnisse, Ereignisse und Personen unsere Tochter beeinflussen. Damit wir beide ein gutes Gefühl bei der Sache haben, war es uns einfach wichtig, dass wir denjenigen oder diejenige kennenlernen. Die eingespielten Frühstücksgelegenheiten waren auch unter dem Aspekt perfekt geeignet, dass Minou sehen konnte, dass es hier nicht darum geht irgendjemanden zu ersetzten, sondern dass einfach nur eine neue Person hinzukommt – und das wir als Eltern kein Problem damit haben. Außerdem glaube ich daran, dass sowohl Thomas als auch ich selber dann bessere Eltern sind, wenn unser Umfeld entspannt und positiv ist. Daher liegt es auch in meinem Interesse, dass es Thomas ein zufriedenes Privatleben führt, da es am Ende des Tages auch Minou zugute kommt.

Damit wir beide ein gutes Gefühl bei der Sache haben, war es uns einfach wichtig, dass wir denjenigen oder diejenige kennenlernen.

Zuletzt noch ein kurzer Punkt zum Zeitpunkt. Hier ist es vor allem wichtig, dass ein gewisses Verständnis für unsere Familienkonstellation vorliegt. Das kann ganz schnell der Fall sein, es kann aber auch länger dauern, wenn man sich vielleicht noch nicht ganz sicher ist. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, dass es auch für neue Partnerinnen nicht ganz einfach ist die Mutter der Tochter kennenzulernen bzw zu verstehen, dass in dem Fall ich noch eine Rolle im Leben von Thomas spiele. Es kommt also nicht nur auf uns, sondern auch auf den neuen Partner an, wann der richtige Zeitpunkt ist. Da die Tatsache, dass man jedes 2. Wochenende + 2 Tage unter der Woche frei hat auch so genug Spielraum für eine Beziehung bietet, ist es auch gar nicht zwingend notwendig, das Kennenlernen schnell zu forcieren. Sobald man weiß, dass man eine ernsthafte, auf Langfristigkeit ausgelegte Beziehung führen möchte, kann man alles weitere planen.

Bei der allerersten Freundin mit der Thomas langfristig geplant hat, lief es zugegebenermaßen mit der offenen Kommunikation noch nicht so rund. Das haben wir dann aber bei einem Lunch in der Mittagspause geklärt und uns darauf geeinigt, dass wir auch hier weiter wie Freunde miteinander umgehen und auch solche Infos ganz normal teilen. Wenn man sich so häufig sieht wie es bei uns der Fall war, dann ist es seltsam so etwas über Dritte oder aus Sozialen Medien zu erfahren. Das war am Anfang nochmal etwas gewöhnungsbedürftig, hat dann aber dazu beigetragen, dass wir uns nochmal auf ein weiteres Level von „normaler Freundschaft“ begeben haben.

T: Auch hier kann ich nicht viel mehr beisteuern, weil Milena das schon genau richtig beschrieben hat. Wir haben uns auch immer erst die Zeit gegeben herauszufinden ob der neue Partner/die neue Partnerin auch wirklich etwas Ernstes wird. Erst dann haben wir sie/ihn vorgestellt. Und um es natürlich klarzustellen: wir haben unserem Kind nicht dutzendweise Partner vorgesetzt, sondern nur eine sehr geringe Anzahl.

Herzlichen Dank für das Gespräch und ich freue mich auf mehr demnächst in meinem Podcast!

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Milena Mergell und Thomas Baum
Unser Kind hat zwei Zuhause: Was wir durch ein getrenntes Familienleben über uns selbst gelernt haben.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Komplett Media GmbH; 1. Edition (2. August 2022)
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3831205851