Marianne Nolde hat als Psychologin und Gutachterin viele Jahre für Familiengerichte Trennungseltern begleitet und selbst eine Scheidung mit Kindern durchlebt. Ihr Ratgeber “Eltern bleiben nach der Trennung” gehört zu einem meiner absoluten Lieblingsbücher.
Ich möchte von ihr wissen, was Eltern tun können, um ihre Kinder gut durch die Trennung zu begleiten – beide gemeinsam, aber auch jeder Elternteil für sich. Dazu stelle ich ihr hier vorab drei Fragen und bespreche dieses Thema bald ausführlicher mit ihr in einer neuen Folge meines Podcasts.
Frage 1
Liebe Frau Nolde, was können Eltern gemeinsam tun, um ihre Kinder gut durch die Umbruchphase einer Trennung zu bringen? Welches Verhalten ist förderlich, welches eher schädlich?
Eine große Unterstützung für Kinder ist es, wenn die Eltern ihnen gemeinsam den Trennungsentschluss mitteilen und ihnen dabei schon eine Perspektive geben, wie es weitergehen soll. Wenn sie also gleichzeitig mit der Hiobsbotschaft (die sie aber oft schon geahnt haben) die Sicherheit vermittelt bekommen, dass sie keinen Elternteil verlieren werden, dass sich beide weiterhin um sie kümmern werden und sie selbstverständlich weiterhin beide Eltern lieben dürfen. Dazu müssen sich ihre Eltern vorab auf eine grundsätzliche Ausrichtung verständigt haben; falls es ihnen allein noch nicht möglich ist vielleicht mit Unterstützung von Berater:innen oder Mediator:innen.
Wenn es Eltern dann noch gelingt, sich Wertschätzung und Respekt gegenüber dem anderen Elternteil zu bewahren – oder falls sie verlorengingen wiederzuentdecken – ist das eine optimale Entwicklungsbedingung für Trennungskinder, die ja genetisch wie über Prägung Anteile beider Eltern in sich tragen und denen es hilft, wenn weiterhin all ihre Facetten von beiden Eltern Zustimmung erfahren. Dazu ist es nicht erforderlich, dass ich alles gut finde, was der oder die andere tut, oder dass ich womöglich auf der Paarebene erlittenes Unrecht leugne oder bagatellisiere. Man kann den Kindern durchaus sagen, dass man persönlich gerade Schwierigkeiten mit dem anderen hat (möglichst mit dem Zusatz, dass man hofft, diese mit der Zeit ausräumen zu können), dass man deshalb aber trotzdem sieht, dass er oder sie als Elternteil für das Kind gut und richtig ist – ausgenommen natürlich Fälle, in denen ein Kind aus schwerwiegenden Gründen vor ihm oder ihr geschützt werden muss. Vorhandene Differenzen komplett zu leugnen und eine „heile Welt“ vorzuspielen, wird die Kinder nicht überzeugen und bewirkt, dass es den Eltern an Authentizität mangelt. Es macht aber einen großen Unterschied, ob ich den oder die Ex-Partner:in mit abwertenden Worten niedermache oder ob ich sachlich existierende Meinungsverschiedenheiten erwähne.
Schädlich ist wiederum alles, was Kinder in Loyalitätskonflikte verwickelt. Wenn sie in die Lage gebracht werden, sich zwischen den Eltern entscheiden und Partei ergreifen zu müssen, oder wenn ihr Wunsch, mit den Eltern zu kooperieren, dazu führt, dass sie die Bindung an den oder die andere:n verleugnen müssen, weil sie spüren, dass der gerade anwesende Elternteil das nicht gut aushalten kann. Über den anderen abwertend zu sprechen, auch für das Kind mithörbar gegenüber Dritten, belastet ebenso wie unfreundliches Verhalten bei der Übergabe. Solche spürbaren Animositäten erschweren es den Kindern, ihre Zuneigung zu beiden Eltern weiterhin zeigen und ausleben zu können. Sie können sich ihnen dann nicht mehr offen mit all ihren Gefühlen anvertrauen, was die Beziehungen zu ihren Eltern belastet.
Frage 2
Direkt nach einer Trennung ist es ja ganz natürlich, wenn die Kooperation zunächst nicht so gut klappt. Doch wie kann dann mit der Zeit eine allmähliche Wiederannäherung als Eltern-Team angegangen werden?
Ich finde hilfreich, sich vor Augen zu führen, dass es nicht so schwierig bleiben muss, wie es sich in der akuten Trennungsphase und der ersten Zeit danach anfühlt. Manchmal ist es wichtig, erst etwas Abstand voneinander zu gewinnen, auch um die Trennung erst einmal akzeptieren zu lernen, bevor man wieder aufeinander zugehen kann. Wenn mindestens ein Partner – oft derjenige, der oder die „verlassen“ wurde – diesen Abstand braucht, kann es helfen, zunächst lieber schriftlich zu kommunizieren, sich dabei auf dringende Sachfragen zu beschränken und Übergaben der Kinder über Dritte (z.B. Kindergarten) zu organisieren.
Wenn es über längere Zeit schwierig bleibt, sich der Kinder wegen miteinander auszutauschen, empfehle ich Gespräche mit einem neutralen Dritten, z.B. in einer Beratungsstelle, im Rahmen einer Mediation oder bei entsprechend erfahrenen Coach:innen. Wenn man auf diesem Weg wieder eine konstruktive Gesprächskultur entwickelt hat, lässt sich das oft anschließend auch ohne Unterstützung fortführen.
Mir persönlich hat geholfen, mir immer wieder vor Augen zu führen, dass der andere Elternteil in aller Regel für die Kinder wichtig ist und ich das Bestmögliche zu ihrer Entwicklung beitrage, wenn ich einen wertschätzenden Umgang mit ihm hinbekomme. Das hat meine Motivation aufrechterhalten, es weiter zu versuchen, wenn es gerade mal nicht so gut lief. Wenn ich von unseren Paarproblemen Abstand genommen habe, konnte ich zudem sehen, dass ihr Vater wirklich für die Kinder Positives einbringt. Und nicht zuletzt: Ohne ihn hätte ich diese Kinder gar nicht in meinem Leben, dafür kann ich ihm ja allemal dankbar sein. Mir hat diese Einsicht bei der Entwicklung einer versöhnlichen Haltung tatsächlich geholfen.
Frage 3
Was kann ein Elternteil tun, wenn er kooperieren möchte, aber der andere nicht? Für sich, aber auch für die gemeinsamen Kinder?
Man kann niemanden zur Kooperation zwingen, lediglich dafür werben. Wenn der oder die andere nicht mitmacht, muss ich das hinnehmen und schauen, wie ich das Bestmögliche unter diesen Umständen gestalten kann. Niemand kann mich daran hindern, für meine eigene Verarbeitung der Trennung professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und mich damit selbst wieder zu stabilisieren. Die Zeit dafür ist gut investiert, denn wenn ich selbst wieder Boden unter den Füßen habe, kann ich meine Kinder wesentlich besser begleiten und ihnen mehr Sicherheit geben. Hilfreich ist auch, ein Netzwerk zu knüpfen, falls der andere Elternteil als Betreuungs- und Bezugsperson nicht verlässlich verfügbar sein sollte, um Überforderung vor allem in Krisensituationen entgegenzuwirken.
Selbst unter solch erschwerten Bedingungen ist es für die psychische Situation des Kindes günstig, wenn ich den anderen Elternteil nicht vor dem Kind herabsetze, gar nicht mal dem Elternteil, sondern dem eigenen Kind zuliebe, dessen Selbstwertgefühl unter der Abwertung leiden kann. Verständnis für die Gefühle meines Kindes aufzubringen – sei es Trauer über die Trennung, Frustration über das Verhalten des anderen Elternteils, Sehnsucht nach ihm/ihr – und das nicht als gegen mich gerichtet wahrzunehmen, ist eine große Hilfe fürs Kind bei der Verarbeitung der Trennungssituation und stärkt die Bindung. Letztlich wissen wir aus der Bindungsforschung, dass eine verlässliche Bindung an EINE feinfühlige Person die Resilienz fördert und Kindern damit die nötige Voraussetzung bietet für eine langfristig gute Lebensqualität. Ich kann mit meinem Kind auch ohne die Kooperation des anderen Elternteils eine förderliche Familiensituation schaffen. Und vielleicht findet schließlich der andere Elternteil doch noch dahin, dass eine Kooperation wieder möglich wird. Dafür würde ich – wenn es keine eindeutigen gegenteiligen Hinweise gibt – erst mal weiterhin offen bleiben.
Vielen Dank, liebe Frau Nolde, für das schöne Gespräch – ich freue mich bereits sehr auf unsere gemeinsame Podcast-Folge!
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Marianne Nolde
Eltern bleiben nach der Trennung: Was Ex-Partner für sich und ihre Kinder wissen sollten
ISBN-10 : 3426214733
ISBN-13 : 978-3426214732