Buchbesprechung: Aenne und ihre Brüder von Reinhold Beckmann

Veröffentlicht am

Über den Sommer während der Podcast Pause hatte ich Zeit und Gelegenheit, ein paar Bücher zu lesen, die nicht reine Fachbücher sind, und dennoch mit Familienthemen zu tun haben. Einige davon, die ich besonders lesenswert finde, möchte ich hier in den nächsten Wochen vorstellen.

Den Beginn macht die Biografie von Reinhold Beckmann über das Leben der Familie seiner Mutter, bereits erschienen in 2023 und von mir erst dieses Frühjahr entdeckt. Die über 350 Seiten habe ich in zwei Tagen gelesen und der Inhalt ging mir noch lange nach.

Denn Reinhold Beckmann hat ein kluges und enorm berührendes Buch geschrieben, dass ich sehr empfehlen kann. Wir kennen ihn als Fernsehmoderator/Journalisten und Musiker, und nun auch als Autor einer wirklich gelungenen und wichtigen Biografie.

Es geht um die Geschichte der Familie seiner Mutter Aenne, mit ihr im Zentrum, veranschaulicht anhand von Briefen ihrer Brüder an die Schwester während des zweiten Weltkriegs. Aenne hatte zunächst drei Brüder und verlor bereit als Kleinkind ihre Mutter, bekam erst eine Stiefmutter und nach dem Tod ihres Vater auch noch einen Stiefvater sowie einen vierten Bruder. Es geht somit auch um Stieffamilie und Patchwork (lange bevor es das Wort gab) und darum, was Familie ausmacht, wie sie sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verändert, wie sie in schweren Zeiten zusammenhält und sich trotz einiger Differenzen gegenseitig unterstützt.

Stiefmutter und Stiefvater sind eher pragmatisch im Umgang mit den Kindern, umso wichtiger ist der liebevolle Zusammenhalt zwischen den Geschwistern, die trotz all der Wirren der Kriegsjahre soweit möglich in engem Kontakt und Austausch sind, meist über Briefe und nur selten über ein Wiedersehen, und gerade die zitierten Briefe machen dieses Buch so besonders und fesselnd, weil man sich als Leser:in dadurch sehr gut in Aenne, aber auch ihre Brüder hineinversetzen kann.

Vor allem geht es in diesem Buch um die Sinnlosigkeit und Grausamkeit von Kriegen, um die verheerenden Verlusten und irreparablen Schäden, zu denen Kriege führen. Die Eltern und Großeltern von Aenne sowie viele andere im Dorf leiden nach Ende des ersten Weltkrieges noch unter den Spätfolgen der Belastungen, körperlich und psychisch.

Alle vier Brüder von Aenne ziehen nacheinander in den zweiten Weltkrieg und keiner kehrt lebend zurück. Sie verlieren zunächst ihre Jugend und dann ihr junges Leben an den Krieg. Es ist enorm berührend, die liebevollen Briefe der vier Brüder an Aenne zu lesen, anfänglich unterschiedlich begeistert vom Krieg, doch alle zunächst zuversichtlich, gar optimistisch, und je länger der Krieg anhält, zunehmend belastet und deprimiert. Selbst der jüngste Halbbruder muss, als der Krieg schon so gut wie verloren ist, noch völlig sinnlos sein junges Leben lassen.

Weiterhin leider sehr aktuell und daher so wichtig, dass wir auf informative, nachvollziehbare und gut veranschaulichte Weise von Kriegszeiten lesen können. Mit der Familie von Aenne im Zentrum erfahren wir viel über das beschwerliche und entbehrungsreiche Alltagsleben auf dem Dorf in (Nach)Kriegszeiten sowie einiges über die Rolle der Kirche im zweiten Weltkrieg. Und wir erleben hautnah und lebendig den Kriegsalltag junger Menschen, den ich so klar und berührend vorher noch nirgends gelesen habe.

Es beeindruckt mich enorm, wie jemand, den ich bisher vor allem als Moderator wahrgenommen hat, ein im Bezug auf die geschichtlichen Hintergründe so gut recherchiertes, kluges, schön geschriebenes und sehr berührendes Buch schreiben kann. Glückwunsch dazu, Herr Beckmann!

Das Buch geht einem vor allem durch die Briefe der Brüder sehr nahe, ebenso wie durch die in jeder Zeile spürbar Liebe des Autors zu seiner inzwischen verstorbenen Mutter, gepaart mit der Trauer um vier Onkels, die er nie kennenlernen durfte.

Keine leichte Sommerlektüre, und dennoch bzw. gerade deshalb unbedingt empfehlenswert!

– – – – – – –

Reinhold Beckmann
Aenne und ihre Brüder


ISBN9783549100561

erschienen 2023 – Informationen zum Buch auf den Seiten des Ullstein Verlags